Die Astronomische Uhr

Punkt Zwölf haben sie ihren großen Auftritt: Die Heiligen Drei Könige treten in acht Metern Höhe in Erscheinung und verneigen sich vor Maria mit dem Jesuskinde. Begleitet wird ihr Rundgang vom Glockenklang – und zahlreichen Touristen-Blicken, Tag für Tag. Die Astronomische Uhr ist eine große Attraktion im münsterschen St.-Paulus-Dom.

"Funktioniert die denn überhaupt?" Dies wird Domaufseher Bernhard Günther am häufigsten angesichts des imposanten Messgeräts gefragt, das seit dem 16. Jahrhundert den Chor-Umgang auf südlicher Seite ziert. Schon 1408 stand ein solches in der Bischofskirche, das im Bildersturm der Täuferzeit anno 1534 zerschlagen wurde. Doch schon sechs Jahre danach begann man mit der Errichtung des jetzigen Werks, das heute sowohl aus technischer als auch künstlerischer Sicht besticht und in vielerlei Hinsicht einmalig ist. "Ein Meisterwerk", sagt Domkustos Dr. Udo Grote über die Weltzeituhr, die ihresgleichen höchstens im Straßburger Münster findet. Die Besucher fasziniert diese jedoch auch deshalb, weil sie auf den ersten Blick unverständlich erscheint.

Links herum

Auf heutigen Uhren drehen sich zwei Zeiger rechts herum. Schon dieser Konvention folgt diese 7,8 Meter hohe und 4,1 Meter breite Vorgängerin nicht. Auch zeigt sie weit mehr an als die Zeit, dies jedoch – mit Blick auf ihr Alter – bestechend exakt. Und ohne Minutenzeiger. Auf dem 24-Stunden-Ziffernblatt dreht sich einzig – und das links herum – ein Sonnenzeiger, der die Stunden bestimmt. Vier Minuten entsprechen jedoch einem markierten Winkelgrad auf dem äußersten 360°-Kreis und lassen sich so als kleinste ablesbare Einheit bestimmen.

Aber auch seine sprichwörtliche "Sternstunde" kann der Betrachter auf dem Werk ablesen, das Dietrich Tzwyvel, Buchdrucker und Mathematiker, einst gemeinsam mit dem Franziskaner und Domprediger Johann von Aachen berechnet hat: Es kennzeichnet die Herrschaft des Planeten in den astronomischen Stunden. Und allein der Sonnenzeiger lässt überdies den Stand dieser Gestirne am Himmel, die Polhöhe der Sonne, ihre Position im zutreffenden Tierkreiszeichen sowie die aktuelle Mondphase erkennen.

In einer Kirche hat diese schon zu ihrer Errichtungszeit außergewöhnliche Uhr ihren rechten Platz, weil mit ihrer Hilfe früher die Festlegung der kirchlichen Feiertage erfolgte. Für deren Terminbestimmung waren astronomische Daten von großer Bedeutung. Darüber hinaus, erklärt Grote, präsentiere sie Gottes Schöpfung.

Das Tutemännchen

Wenn die volle Stunde schlägt, trompetet das Tutemännchen links oben auf dem Eichenholz, seine Frau schlägt dazu an die Glocke. Alle 15 Minuten tritt das rechte Duo in Aktion: Der Zeitengott Chronos dreht seine Sanduhr um, der Tod schlägt das Stundenviertel. Und nur einmal am Tag treten die Könige aus ihrem Sperrholzobdach heraus. Die Metallfiguren tragen bunte Gewänder, die vermutlich in den 60-er Jahren erneuert worden sind. Ihre Diener dagegen sind hölzern – durch und durch. Zu Fünft umringen sie das Jesuskind, das seit über 450 Jahren dort auf dem Schoße seiner Mutter sitzt.

Diesem tagtäglichen Königsgang schauen die gemalten Bürger Münsters von ihrer ebenso zweidimensionalen Balustrade links und rechts des Königsbalkons zu. Unter ihnen ihr Schöpfer selbst: der Maler Ludger tom Ring d.Ä., der sich dort im linken Bereich mit rotem Mantel und schwarzem Barett selbst verewigt hat, außerdem die Konterfeis der Konstrukteure und des Schlossers Nikolaus Windemaker, der das Werk einst schmiedete.

"Diese Malerei hat die Qualität eines Staffelei-Gemäldes", schwärmt die für den Dom zuständige Restauratorin Marita Schlüter über diese Renaissance-Arbeit, welche die Jahrhunderte gut überstanden habe. Genau wie die Uhr selbst, die im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs unbeschadet blieb. 1929 hatte sie ein neues Werk erhalten, das seit seiner Wiedereinsetzung 1951 wie am Schnürchen läuft.


Text: Kerstin Heil
Foto: Michael Bönte, Kirche+Leben
05.08.2004

Millimeterweise zu neuem Glanz

Farbe, Lösungsmittel und fast 500 Jahre Geschichte. Es ist ein intensives Gemisch, das beim Betreten der geräumigen Werkstatt von Marita Schlüter in die Nase steigt. Die Diplom-Restauratorin aus der Umgebung von Münster sitzt vor einer beleuchteten Staffelei, blickt konzentriert durch ihre Stirnlupe und bewegt den Pinsel Millimeter für Millimeter über eine kleine runde Kupferplatte. ► Mehr lesen