Der Missionsgedanke des heiligen Liudger

In den von ihm verfassten schriftlichen Erinnerungen gibt Liudger Einblicke in sein Selbstverständnis als Lehrer und Missionar.

Im Alter von 50 Jahren zieht sich der Missionar Liudger während des Sachsenaufstandes 792/794 überraschend zurück und schreibt seine "Erinnerungen". Es sind Aufzeichnungen, die, wie der Kirchenhistoriker Professor Arnold Angenendt in seiner Liudger-Biographie schreibt, seltene Einblicke in das Seelenleben eines Kirchenmannes des frühen Mittelalters erlauben.

Bereits Jahre vorher hat Liudger seine siebenjährige Friesenmission abgebrochen, weil die Sachsen während Widukinds letztem Aufstand die Missionare vertrieben und die Kirchen niedergebrannt haben.

Notgedrungen hat Liudger aufgegeben und ist für zweieinhalb Jahre nach Rom gegangen. 787 kehrt er zurück und wird von Karl dem Großen zum "Lehrer" über fünf friesische Gaue bestellt. Doch der erneute Aufstand unterbricht seine Mission. Die in dieser Zwangspause entstandenen Erinnerungen Liudgers geben sein Selbstverständnis als Lehrer und Missionar wieder, wie Angenendt schreibt. Liudgers Erinnerungen umfassen zwei Brennpunkte: Bonifatius, den großen Deutschlandmissionar, und Gregor, Schüler des Bonifatius und Lehrer von Liudger. Gregor, so schreibt Liudger, habe sich aufgemacht, alle Annehmlichkeiten des Elternhauses preisgegeben und, wie die Apostel, die Fischernetze verlassen.

Für sein eigenes Profil bedeutet das: Liudger wollte zuerst, so beschreibt es Angenendt, einmal der arme, "asketisch lebende Wandermissionar sein, der wie der heilige Paulus und der heilige Bonifatius … für die Bekehrung der ihm anvertrauten Völker unterwegs ist".

Als Wandermissionar glaubt sich Liudger verpflichtet, immer unter Fremden leben zu müssen. Grundlage dieses Selbstverständnisses war das zentrale Petruswort, das die Universalmission grundlegte: "Aus jedem Volk ist Gott genehm, wer ihn fürchtet und Gerechtigkeit übt" (Apg 10,33). Dieser Wahlspruch begründete die "Internationalität" des Missionars.

Nutzlose Zwangstaufen

Liudgers Missionstätigkeit fällt in die Zeit der Sachsenaufstände, die Karl der Große mit Gewalt und Zwangstaufe niederkämpft. Alkuin, der aus dem englischen York kommende führende Kopf der Hofgelehrten, hat die vom König angeordneten Zwangstaufen für nutzlos erklärt.

Liudger, sein Schüler, hält sich aus der Diskussion heraus, kritisiert die Maßnahmen des Königs nicht, sondern verschweigt die Gewalt und lobte vielmehr den Frieden. Später, 798, begleitet Liudger sogar Karl den Großen bei einem Feldzug in Minden.

In Hessen und Thüringen, so schreibt Liudger, hätten Bonifatius und Gregor nur deshalb missionieren können, weil die christliche Macht gesiegt und den Kirchen Gottes der volle Friede geschenkt worden sei.

Zwei Mal hat Liudger während der Sachsenaufstände die Flucht ergriffen. Wie Angenendt schreibt, lässt sich dadurch indirekt seine Auffassung zum Martyrium erschließen. Wenn er bei jeder Gelegenheit Bonifatius "den künftigen Märtyrer" nennt, dessen Blutzoll er bewundert, weicht er jedoch der Gefahr jedes Mal aus.

Gesucht hat Liudger das Martyrium nicht. Trotz gegenteiliger Beteuerungen. "Er war in die Mission gegangen, weil er dort sein Blut zu vergießen hoffte, sah sich indes auf dem Sterbebett einem gewöhnlichen Tod ausgesetzt und musste sich damit trösten lassen, dass doch auch die Mühsal der Missionsarbeit ein Martyrium sei", beschreibt Angenendt den Widerspruch zwischen den Gedanken und Handlungen des Missionars. Deshalb ist das gute Sterben für Liudger der Ausweis eines guten Lebens.

Der niederrheinische Kirchenhistoriker zieht für Liudgers Missionsverständnis folgendes Fazit: Wichtiger Bestandteil ist für Liudger sicher das Leben in der Fremde. Vor allem aber strebt er an, das Vorbild der Urkirche zu erfüllen, "als alle ein Herz und eine Seele waren".

Indem Liudger Rückschau hält und damit vieles seiner Person offenbart, wird er frei für neue Aufgaben. Er lässt sich von Karl dem Großen wieder in die Mission schicken. Nun ins Münsterland. Dort fasst er den Entschluss einer Klostergründung. Im März 793 nimmt er selbst für sein beabsichtigtes Kloster eine erste Landschenkung entgegen. Diesen Ort bestimmt er für sich - so hat er es während einer nächtlichen Gewittervision geschaut - zur letzten Ruhestätte.

Text: Jürgen Kappel, Kirche+Leben
Foto: Archiv
30.03.2005