Der ehemalige Bürensche Epitaphaltar

Unter den Bildwerken des St. Paulus-Domes zu Münster hebt sich ein farbig gefasstes Steinrelief mit der "Anbetung der Heiligen Drei Könige" im Südarm des Ostquerhauses heraus, das die religiöse Erneuerung des 16. Jahrhunderts - aus der Zeit nach den Zerstörungen der Wiedertäufer – repräsentiert.

Die vielfachen inhaltlichen Aspekte der Darstellung und ihre künstlerischen Qualitäten zeichnen das Werk besonders aus. Das Relief bildete ursprünglich den Mittelteil eines flügellosen Architekturretabels mit dem Charakter des privaten Andachtsbildes, das aus einer Predella mit Wappenzier, einer Gedenktafel zu Ehren des Stifters und dem hier vorgestellten Mittelrelief bestand – dazu kam noch die Bekrönung, wohl in der Form eines dreieckigen oder halbkreisförmig gebildeten Tympanons. Es zeigt das zentrale Ereignis des Festkreises Weihnachten: die Menschwerdung Gottes, den die heiligen Drei Könige anbeten.

"Als sie das Gestirn sahen, freuten sie sich – groß, gar groß war ihre Freude. Und sie traten in das Haus und sahen das Kind bei Maria, seiner Mutter. Und sie warfen sich nieder und verneigten sich tief vor ihm. Dann öffneten sie ihre Schatztruhen und brachten ihm Gaben dar: Gold und Weihrauch und Myrrhe." (Mt 2,11f).

Zeichen von Demut

Im Mittelpunkt thront die Muttergottes, auf ihrem Schoß der neugeborene nackte Gottessohn, der dabei ist, das goldene Geschenk des knienden Königs Melchior entgegenzunehmen. Auf der anderen Seite Mariens kniet der betende Stifter des Werkes, der Domherr Melchior von Büren. Beide legen ihre Kopfbedeckungen als Zeichen ihrer Demut zu Füßen der Muttergottes nieder. Hinter dem betenden Stifter steht der älteste König, der bärtige Caspar, der gerade seine Hutkrone demutsvoll zu ziehen beginnt. In seiner Rechten hält er einen goldenen Pokal als Gabe für das Jesuskind.

Der jüngste König, Balthasar, als Afrikaner charakterisiert, steht hinter dem knienden König Melchior und hält seine Gabe (heute abgebrochen) dem Jesuskind entgegen. Auf der linken Seite der Muttergottes steht der Nährvater des Jesuskindes, der heilige Joseph, auf seinen Wanderstab gestützt, etwas melancholisch zur Seite blickend. Ursprünglich hatten seine Augen wohl das prunkvolle Geschenk des jungen Mohrenkönigs Balthasar bewundert.

Hinter dem Rücken des betenden Stifters, an der linken Seite des Reliefs, steht der Apostel Bartholomäus (mit seinem Marterinstrument, einem Messer, in seiner linken Hand) als himmlischer Vermittler, um den betenden Domherrn Melchior von Büren dem neugeborenen Erlöser und der Muttergottes zu empfehlen. Maria blickt liebevoll zu dem betenden Stifter hin.

Familienwappen der Stifter

Strenge sakrale Symmetrie und huldvoller Bewegungsreichtum zeichnen die ganze Szene aus. Links und rechts gesellen sich zu den Anbetenden noch zwei Wappen tragende, herkulisch starke Putten mit den Familienwappen des Stifters Von Kemna (links) und Von der Recke (rechts). Eine in manieristischer Vergrößerung "ausgeblendete" Adelsrepräsentation.

Zum heraldischen Schmuck des Epitaphaltares – neben den eben erwähnten großelterlichen Wappen des Stifters – gehörten ursprünglich noch zwei weitere elterliche Wappen auf der Predella des Altares (erhalten), die Wappen Von Büren (links) und Von Wickede zu Huckarde (rechts) (vgl. R. Oberschelp, Die Edelherren zu Büren, Münster 1963, Stammtf. Nr. 5). Über der zentralen plastischen Anbetungsszene – hinter einer reichen Pfeiler-, Baluster- und Bogenarchitektur – erscheinen der Stern von Bethlehem, huldigende Engel, Flöten spielende Hirten und Fahnen schwingende Soldaten – das gemalte Gefolge der Könige -, um dem Jesuskind ihre Huldigung zu erweisen.

Symbolische Drei

Im linken äußeren Bildfeld oben ist auch das Thema "Verkündigung an die Hirten" mit dargestellt. Das Relief als Gesamtkunstwerk vereinigt so in sich harmonisch Architektur, Plastik und Malerei. Die bildtheologischen Aspekte des Reliefs sind damit noch nicht ausgeschöpft:

- Die Heiligen Drei Könige sind als Vertreter der drei Lebensalter charakterisiert: Caspar (links) im Greisenalter, Melchior (kniend, rechts) im Mannesalter und Balthasar als junger Mohrenkönig (rechts, stehend).

- Sie vertreten gleichermaßen die drei damals bekannten Weltteile: Caspar Asien (Morgenland), Melchior Europa (Abendland) und Balthasar Afrika.

- Auch die Geschenke der Könige wurden symbolisch verstanden. Die Gesta Romanorum (13./14. Jahrhundert) überliefert die am stärksten verbreitete Form ihrer Deutung: Das Gold versinnbildlicht den dem König gebührenden Weisheitsschatz; der Weihrauch das ergebungsvolle Opfer und Gebet; die Myrrhe die reinhaltende Kraft der Selbstbeherrschung.

- Die thronende Muttergottes ist besonders hervorgehoben durch die Inschrift ihres Heiligenscheines " Ave maris stella dei mater alma – Sei gegrüßt, Stern des Meeres, gütige Gottesmutter. Die neueren Untersuchungen erkennen in "Ave, maris stella" einen Hymnus des Benediktinerabtes Ambrosius Autpertus (+784) zu St. Vinzenz am Volturno bei Benevent. In diesem Sinne dürfen wir die Darstellung Mariens auch als ein wichtiges bildnerisches Dokument für die Marienverehrung der Zeit interpretieren.

Memorientafel des Epitaphaltares

Die Stiftung des ehemaligen Epitaphaltares durch den Domherrn Melchior von Büren ist archivalisch überliefert, aber auch die Inschrift der heute noch erhaltenen Memorientafel des Epitaphaltares hält sie fest:

Melchior a buren dns (dominus) cellerarius aedis paulini et cantor no(n) sine laude fuit huius id i(m)pensis scite est altare novatu(m) destructu(m) a monstris turpiter a(n)te novis a furiis pietas reficit cor(r)upta retinctis in quaru(m) nulla est pectore mica sal(is) extrai(n) circuitu quiphano e(st) proximus aede(m) ossa viri excimii rite sepulta iacent.

Corpore deposito telluri vivat in aevum nu(n)c aia (anima) (a)ethero perpetuoque polo membraque reddantur tande(m) rediviva beata(m) spiritui in requiem glorificata suo mascula cui viguit presta(n)ti in corpore virt(us) cuique fuit claro mens generosa viro decede(n)s senior matura etate supremum in d(omi)no hic clausit chro (christo) obiit(que) diem.

"... nie ohne Lob"

Melchior von Büren, des Paulus Domes Zellerar und Kantor, war nie ohne Lob. Dieser Altar wurde auf seine Kosten kunstvoll erneuert, nachdem er zuvor von den Ungeistern schändlich zerstört ward, von den neuen Wütenden, in deren Innern kein Körnchen Salz ist (kein Fünkchen Verstand). Fromme Gesinnung stellt das Zerstörte her durch neue Farben. Am Rande der Kirche, dem Heiligtum am nächsten, ruhen des vortrefflichen Mannes Gebeine, bestattet nach heiligem Brauch.

Der Leib ward gegeben der Erde, leben soll nun die Seele auf ewig dem himmlischen und ewigen Hause. Lebendig werden sollen auch endlich die Glieder, kraftvoll dem Geiste verherrlicht zur seligen Ruhe. Ihm lebte stark die Tugend in vortrefflichem Körper, dem strahlenden Mann, dem edelmütiger Geist innewohnte. Sterbend als Greis dann in gereifterem Alter, beschloss er den letzten Tag in Christus dem Herrn und verschied.

Melchior von Büren d. Ä,. ist im Jahre 1480 in Davensberg (südlich von Münster) geboren. Bereits mit 23 Jahren wurde er Mitglied des Domkapitels (22. Dezember 1503). Seit 1512 hatte er das Amt des Domkellners (Zellerar) inne. Gleichzeitig diente er auch als Domkantor und war Mitglied der Kaland-Bruderschaft. Er ist im Alter von 66 Jahren am 8. August 1546 in Münster gestorben.

Zahlreiche Stiftungen

Da sein Sterbedatum an der Sockelplatte des Altaraufsatzes gesondert gemeißelt wurde (obiit anno 1546/die ciriaci), dürfen wir mit Sicherheit folgern, dass seine Stiftung, der Epitaphaltar mit der Anbetung der Heiligen Drei Könige, noch vor seinem Tode, also vor 1546, errichtet wurde, und zwar im Chorumgang, wo er auch begraben wurde, vor der heutigen Ludgeri-Kapelle des Domes.

In seinem Testament vom 6. August 1546 empfahl er seine Seele der Jungfrau Maria und dem Apostel Bartholomäus , bestimmte die Ordnung seines Begräbnisses und vermachte dem Hohen Kapitel des Domes die Höfe Elferding und Borcharding im Kirchspiel Greven und stiftete zahlreiche Memorien in den Kirchen der Stadt St. Jakobi, Liebfrauen zu Überwasser, St. Ägidii, St. Johannes, St. Georg, St. Katharina (Minoriten), und des Bistums in Freckenhorst, Borghorst, Metelen, Nottuln, Asbeck, Flaesheim, Rosenthahl, Rheine, Hofringe, Niesing, Rhynern bei Hamm, u.a.m. Im Zusammenhang mit der Errichtung der Galenschen Kapellen wurde der Bürensche Epitaphaltar nach 1663 abgebrochen.

"Wohl um 1697" (Max Geisberg) gelangten die Teile des Altaraufsatzes in die Pfarrkirche zu Mesum, wo sie in einer willkürlich veränderten Form bis zum Ende des 19. Jahrhunderts verblieben waren. Vom Westfälischen Landesmuseum erworben wurde das Relief mit der Anbetungsszene 1907 in der museal eingerichteten Margarethenkapelle des Museums aufgestellt.

Zuvor im Landesmuseum

Von 1974 bis 1981 war das Relief mit der Anbetung der Heiligen Drei Könige im Neubau des Landesmuseums erneut zu sehen, von 1981 bis 1988 in der Domkammer. Im Rahmen der Neugestaltung der Chorkapellen des Domes gelangte es zuletzt in die Kreuzkapelle des Domes, seinem ursprünglichen Bestimmungsort etwas näher gerückt, um uns so noch bindender das Nacherleben der friedensstiftenden Menschwerdung Gottes (Lukas 2,14) zur imitation pietatis "vor Augen" zu führen.

Der Bildhauer des Epitaphaltares, Johann Brabender (geb. um 1498/99) in Münster, gestorben 1562 ebendort) war der bedeutendste Bildhauer des 16. Jahrhunderts in Münster. In seinem Werk vollzieht sich in Westfalen am stärksten die Hinwendung zu den künstlerischen Problemen der Renaissance. Vermutlich ging er bei seinem Vater, Heinrich Brabender, oder bei dem Bildhauer Evert van Roden in die Lehre. Um 1520/25 folgten seine Wanderjahre, worüber die Überlieferung ganz schweigt.

Die Epitaphien seines Frühwerkes zeigen einen Typus des einachsigen Ehrenmals mit religiöser Darstellung, Stifterbild und Totengedächtnisinschrift, wie er in Münster schon im 15. Jahrhundert ausgebildet war. Er schuf für die Kirchen Münsters mehrere Epitaphien:

Brabender als Erbauer des Lettners

1534 das Epitaph für den Stiftsherrn Berthold Biscopinck mit der Szene "Ecce homo" in St. Mauritz, um 1540 für den Domdechanten Dietrich Schade mit der Szene "Taufe Christi", 1543 für den Weihbischof Johannes Biscopinck mit der "Anbetung der Heiligen Drei Könige" (in der Marienkapelle des Domes) und um 1545 für den Domherrn Arnold Freidag im Kreuzgang des Hildesheimer Domes.

In den späten dreißiger und frühen vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts beschäftigen ihn drei monumentale Aufgaben für den Hochchor des Münsterschen Domes: das große, über 13 Meter hohe, 1536 vollendete Sakramentshaus (1944 zerstört) und das acht Meter hohe Repositorium der Heiligen Öle (heute: auf dem Hochchor des Domes), ferner der um 1542/49 vollendete Domlettner, der bis 1868/70 zwischen den beiden östlichen Vierungspfeilern den Chorraum zum Hauptschiff hin abgeschlossen hat, der verräumlicht und plastisch reich durchgebildet als eine "zweite Fassade" mitten im Dom emporragte.

Der Aufbau des Lettners entsprach damals dem Wunsch des Domkapitels, "seine" Kirche vom Raum der Laien abzusondern und einen allseitig umgrenzten Binnenraum im Dom zu besitzen. Der monumentale Altaraufsatz des ehemaligen Lettners zeigt die Darstellung des Todes Christi auf Golgatha als breites narratives Feld (heute: Westfälisches Landesmuseum, Münster).

Statue der hl. Katharina von Alexandrien

Der Statuenzyklus der Lettnerbrüstung mit 21 thronenden Figuren befindet sich seit 1981 in der Domkammer. Sie gehören – zusammen mit dem Lettnerkreuz des Domes – zu den wichtigsten künstlerischen Dokumenten der mittleren Schaffensperiode des Bildhauers. Am Ende seiner mittleren reifen Schaffensphase schuf Johannes Brabender im Auftrage des Domkantors Melchior von Büren d. Ä,. 1545/46 zwei Epitaphaltäre, den einen für die Familie des Domkantors in Davensberg, den anderen – wie oben ausgeführt – zu Ehren der Heiligen Drei Könige. Er schuf auch mehrere Einzelfiguren.

Unter diesen Arbeiten ragt besonders die anmutige Statue der hl. Katharina von Alexandrien im Hauptschiff des Domes zu Münster empor, noch mehr seine Sündenfall-Gruppe von 1535/40, die ursprünglich für die Nische oberhalb des Haupteingangs des Domparadieses bestimmt war (heute: Westfälisches Landesmuseum, Münster). Sie ist das schönste Beispiel für den reifen Figurenstil des Bildhauers, gleichwohl eine Glanzleistung der norddeutschen Sonderrenaissance, in der das Phänomen der vollrunden Nischenfigur mit der spätgotischen Formenwelt synchronisiert wurde. Die Übernahme und Verwandlung des Dürerschen Vorbildes (Kupferstich von 1504) führte bei ihm zu einer einmaligen Erhöhung des Menschenbildes, in dem er die Idee des Christlichen (Sündenfall) mit der Idee des Organischen zu verbinden unternommen hat.

Das Spätwerk Johann Brabenders zeigt uns drei großartige Beispiele, in denen seine Kunst eine außerordentliche stilistisch-künstlerische Steigerung erfahren hat: er schuf einen zweiten Lettner für den Hildesheimer Dom, einen Taufstein für die Marienkirche und ein Epitaph für die Johanniskirche zu Osnabrück. Der ehemalige Lettner des Hildesheimer Domes (heute in der Antoniuskirche neben dem Dom), den er 1546 vollendet hat, ist keine architektonisch großzügig verräumlichte Schaubühne mehr wie der münstersche Lettner, sondern eine bilderreiche Schauwand, die ursprünglich zwischen den beiden westlichen Pfeilern der Ostvierung eingebaut war. Der fünfachsige Aufbau mit deckendem Gebälk und fünf von Pilastern getragenen, giebelbildenden Bogenstellungen entfaltet auf beiden Seiten dieses Wandlettners ein reiches theologisches Bildprogramm in Reliefs zwischen reich ornamentierten Rahmen.

Letzte Werke im Zeichen des norddeutschen Manierismus

Die zwölf alt- und neutestamentlichen Szenen der vorderen Schauseite sind kreuzestheologisch motiviert und reichen vom "Sündenfall" bis zu "Majestas Mariae". Die rückwärtige Schauseite enthält mariologisch motivierte Szenen des Alten und Neuen Bundes. Das steinerne Taufbecken von 1560, mit vier in reichem architektonischen Rahmen eingefassten Reliefs, das er für die Osnabrücker Stadtkirche St. Marien geschaffen hatte, und das Weltgerichtsepitaph für den Dechanten Johann Mellinghaus (+1561) in der Johanniskirche zu Osnabrück, seine beiden letzten Werke sind bereits im Zeichen des ornamentbeladenen norddeutschen Manierismus niederländischer Prägung entstanden.

Text: Géza Jászai
Fotos: Michael Bönte, Kirche+Leben
Januar 2004