Während der Täuferunruhen erlitt die Kathedrale schwere Schäden

Nicht immer sah die Kathedrale so gut und strahlend aus wie heute. Die schwersten Zerstörungen hat der St.-Paulus-Dom, die heutige (dritte) Kathedrale, im 16. und im 20. Jahrhundert erlitten: am Bauwerk selbst durch die Bomben der Alliierten ab 1941, im Innern durch die Verwüstungen und den Vandalismus bei den Täuferunruhen 1534/35.

Von dem Bildersturm blieb damals keine der münsterischen Altstadtkirchen verschont. Am wenigsten der Dom. Stand er doch als Bischofskirche und damit Symbol der alten Herrschaft und des alten Glaubens besonders im Fokus der Täuferherrschaft, die Münster zum "Neuen Jerusalem" machen wollte. Eines der wertvollsten Ausstattungsstücke des Domes, die Astronomische Uhr von 1398, wurde 1535 von den Täufern zerschlagen. Später gelang eine glänzende Rekonstruktion. Heute muss man suchen, um noch Zeugnisse der Zerstörungswut zu finden. Am Sockel der großen Christophorusstatue im Westquerschiff sind noch Spuren starker Beilhiebe zu erkennen; und im Chorumgang findet sich ein Sandsteinrelief mit dem Bild einer vornehmen Äbtissin des 13. Jahrhunderts, mit schweren Kerben im Gesicht. Alles Hohe sollte "erniedrigt" werden – der Dom diente als "steinkule"

Lange hat man die religiöse Bewegung um den aus Harlem gekommenen "Propheten" Jan Matthys und den selbsternannten "König" Jan van Leiden "die Wiedertäufer" genannt. Heute halten führende Historiker dies für einen einseitigen Kampfbegriff und sprechen lieber von den Täufern, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine radikale Wiederherstellung der christlichen Urgemeinde anstrebten. Es gibt keine wie immer formulierte systematische Theologie des Täufertums in der Zeit der Reformation. Kaplan Bernhard Rothmann hielt ab 1530 erste lutherisch-reformatorische Predigten in der Mauritzkirche und sammelte zahlreiche Anhänger um sich. Er forderte die Erwachsenentaufe und eine strikte Ausrichtung auf die, wie er glaubte, bevorstehende Wiederkehr Jesu Christi. Man sprach von Ostern 1534. Bald gab es an allen sechs Pfarrkirchen Münsters neue Prediger, die Täufer fanden großen Zuspruch. Doch die Bewegung radikalisierte sich: Das "Neue Jerusalem" sollte von allem Gottlosen gereinigt und auf den Anbruch eines Gottesgerichtes vorbereitet werden. Die Gilden standen damals gegen den Rat, die Stadt gegen den Bischof.

In Münster begann eine gewaltige Säuberungsaktion. Ihr fielen Altäre und Grabdenkmäler, Sakramentsschreine und Heiligenfiguren, Skulpturen und Gemälde, Orgeln und liturgisches Gerät, aber auch die Bibliotheken und Archive zum Opfer. Um sich gegen den Landesherrn, Fürstbischof Franz von Waldeck, und seine Belagerung zu wappnen, stürzten die Täufer manche Turmhaube von den Kirchtürmen Münsters, um Platz für Geschütze zu schaffen. Die großen, Jahrhunderte später von Prof. Max Geisbergam Kreuztor wieder aufgespürten großen Portalfiguren von Überwasser wurden in den Schanzen der Stadtbefestigung verbaut. Antiklerikale Schmähungen war an der Tagesordnung, im Dom ersetzten "Spottmessen" die heilige Eucharistie. Hermann Kerssenbrock, der langjährige Rektor der Domschule, schrieb in seinem Augenzeugenbericht über den "Schrecken der wiedertäuferischen Raserei in Münster" zu den Verwüstungen: "Sie beraubten den Dom aller Kostbarkeiten, entweihten das Allerheiligste und plünderten die Altäre. Mit besonderer Wut zertrümmerten sie den Taufstein und die Reliquienbehälter. Im Kapitelsaale zerstörten sie die Fenster und die mit kunstvollen Wappen gezierten Stühle der Domherren. Sie nahmen Leitern und Brecheisen und stürzten die Bilder der Kirchenväter, Propheten, Aposteln und anderer Heiliger, die an Säulen und Wänden überall angebracht waren, herunter."

Das Ende ist bekannt: Ostern 1534 tat sich nichts; die endzeitliche Parusie, die Wiederkunft Christi auf dem Domplatz als Berg Zion, blieb aus. Vielen der damals 7.000 Menschen zählenden Stadtbevölkerung gelang es, Münster zu verlassen. Die Kerngemeinde harrte aus, während sich der Belagerungsring enger zog. Die Täuferoligarchen van Leiden, Krechting und Knipperdolling errichteten ein teilweise bizarres Regiment, aber verloren immer mehr Anhänger, als eine Hungersnot ausbrach. Schließlich nahmen die fürstbischöflichen Truppen im Juni 1535 die Stadt ein und richteten ein Gemetzel an. Den Täuferanführern wurde der Prozess gemacht. Nach der Überlieferung wurden sie auf dem Prinzipalmarkt mit glühenden Zangen zu Tode gemartert, ihre Leichname in eisernen Käfigen hoch am Lambertiturm als Abschreckung zur Schau gestellt. Dort hängen die Käfige bis heute, inzwischen mehr Touristenattraktion als fortwährende Mahnung. Fürstbischof und Domkapitel gelang es rasch, den verwüsteten Dom und seine Kapellen wiederherzustellen. Namentlich die Bildhauer- und Malerfamilien Brabender und Tom Ring halfen ihnen dabei. Die großartige Astronomische Domuhr entstand bis 1543 neu.


Text: Bischöfliche Pressestelle
Foto: Michael Bönte, Kirche+Leben