Kulturkampf: Münsters Bischof Brinkmann landet im Gefängnis

Das gab es wohl nur einmal im Umfeld des St.-Paulus-Doms, dessen 750-jähriges Jubiläum vom 26. bis 28. September gefeiert wird. Und: Es war ein Skandal allererster Ordnung: Ein leibhaftiger katholischer Bischof wird von der "Obrigkeit" für abgesetzt erklärt und landet im Gefängnis. Was Kaiser Wilhelm I. und sein Eiserner Kanzler Otto von Bismarck dazu gesagt haben, ist nicht übermittelt. Fest steht: Münsters Bischof Johann Bernhard Brinkmann (1813-1889) legte sich in der Kulturkampfzeit derart mit der Reichsregierung in Berlin und dem münsterschen Oberpräsidenten Friedrich von Kühlwetter an, dass er erst mit harten Geldbußen, dann mit Pfändungen seines Eigentums im Palais am Domplatz traktiert wurde. Es folgten 40 Tage Freiheitsstrafe, abgesessen im Kreisgefängnis in Warendorf. Bischof Brinkmann ging ins Exil und versuchte vom nahen Holland aus, die Geschicke seiner Diözese noch halbwegs zu leiten.

Firmungen und Visitationen waren nun nicht mehr möglich; 1883 war jede zweite Pfarrstelle im Bistum durch Amtsenthebung der Geistlichen verwaist. Als die scharfen Auseinandersetzungen zwischen dem preußischen Staat und der katholischen Kirche unter dem neuen Papst Leo XIII. abflauten, konnte der 67. Bischof von Münster zurückkehren: Am 12. Februar 1884 drängten sich über 20.000 Menschen auf dem Domplatz, um den Oberhirten nach neunjährigem niederländischem Exil vor dem Westportal des St.-Paulus-Doms enthusiastisch zu feiern. Bischof Brinkmann konnte seine Tränen nicht zurückhalten, als die Menge das katholischste aller Kirchenlieder anstimmte: "Fest soll mein Taufbund immer stehn."

In keiner Diözese des gerade gegründeten Deutschen Reiches wurde der "Kulturkampf" mit einer solchen Schärfe ausgefochten wie im Bistum Münster. Den Begriff hatte ein Abgeordneter der Fortschrittspartei geprägt, der prominente Berliner Professor Rudolf Virchow. Reichskanzler Bismarck war die "Romhörigkeit" der deutschen Katholiken ein Dorn im Auge, und die immer stärker werdende Zentrumspartei wähnte er als verlängerten politischen Arm von Papst Pius IX. Die Ergebnisse des Ersten Vatikanischen Konzils und das Unfehlbarkeitsdogma brachten das Fass zum Überlaufen. Berlin reagierte mit Gesetzen und Erlassen auf die "Ultramontanen", also die romtreuen Katholiken. Zuerst der "Kanzelparagraph" gegen politische Priester, dann die Maigesetze von 1873 boten dem Kanzler und preußischen Ministerpräsidenten die Handhabe, gegen die katholische Kirche vorzugehen. Das reichte von der Ausweisung katholischer Orden über eine Mitwirkung des Staates bei Ernennung und Versetzung von Klerikern bis zur Zensur kirchennaher Zeitungen und einem rigorosen Schulaufsichtsgesetz, durch das sich die Kirche geknebelt fühlte. Während das Oldenburger Land ganz unberührt von dem Konflikt blieb, erreichte der Kulturkampf im zu Preußen gehörenden rheinisch-westfälischen Bistumsteil eine Unerbittlichkeit wie sonst nirgends im ganzen Reich. Scharfmacher sprachen von einem "Krieg bis auf‘s Messer". 90 Prozent der Einwohner Münsters waren damals katholisch; das "katholische Milieu" in Adel, Klerus, Bürgerschaft und Landbevölkerung war festgefügt.

Beim Vorgehen des preußischen Staates gegenüber Bischof Brinkmann kam es zu teilweise grotesken Situationen, doch der unbeugsame Hirte konnte sich der unbedingten Solidarität seiner Diözesanen sicher sein: Als sein Hab und Gut gepfändet werden sollte, mussten protestantische Arbeiter aus Tecklenburg herbeizitiert werden; katholische Dienstmänner aus Münster hatten die Mitwirkung verweigert. Doch münstersche Kaufleute ersteigerten das feil gebotene Bischofsmobiliar und sorgten dafür, dass es noch am gleichen Abend wieder an Ort und Stelle war. Der Aufseher im Warendorfer Gefängnis soll die Knasttüren nachmittags offen gelassen haben, sodass der inhaftierte Bischof spazieren gehen konnte. Alteingesessene Warendorfer schafften mittags Essen herbei. Im Herbst 1875 floh Bischof Brinkmann in die Niederlande, um sich neuerlichem staatlichem Zugriff zu entziehen. Er tauchte unter falschem Namen unter, schaffte es aber, den Kontakt zu den Mitbrüdern im Bischofsamt und zu seinem tüchtigen Generalvikar Joseph Giese aufrecht zu erhalten. Unterdessen lief sein Absetzungsverfahren. In Münster wurden Ludgerianum, Priesterseminar und Collegium Borromaeum geschlossen, am Niederrhein die "Gaesdonck".

Otto von Bismarck konnte den eskalierenden Kulturkampf letztlich nicht gewinnen. Die antipreußische Stimmung in den katholischen Regionen war zunehmend kontraproduktiv. Dort reagierte man mit Boykotts und passivem Widerstand. Als der inzwischen deutlich gealterte Bischof Brinkmann im Februar 1884 ins Bistum zurückkehren konnte, sah er sich am Ende seiner Kräfte: "Ich stehe am Abend meines Lebens, meine Gesundheit ist gebrochen, und meine Kräfte sind sehr schwach", rief der gebürtige Everswinkeler den Diözesanen am Westportal seiner Kathedrale zu. Der später so bekannte Priesterdichter Augustin Wibbelt wurde damals als Student Zeuge der denkwürdigen Ovationen. Ein "Taumel der Freude" sei ausgebrochen, als sich der Bekennerbischof nach einem Pontifikalamt im überfüllten Dom Tausenden Gläubigen auf dem Domplatz zeigte und den Segen spendete: "Die Glocken stürmten los in brandendem Chore. Ich glaube, da sind nicht viele Augen trocken geblieben. Großartig war der schier endlose Fackelzug, und die Illumination der Kirchen, Adelshöfe und Bürgerhäuser an diesem Abend in Münster beschreibt keine Feder. Die Menschenmassen schoben sich stundenlang lachend und scherzend durch die Straßen, denn alle waren glücklich und hochgestimmt…"


Text: Bischöfliche Pressestelle
Foto: Bistumsarchiv Münster