Die Statue des Heiligen Christophorus

Zurzeit des Dreißigjährigen Krieges, als der Krieg sich nach Niederdeutschland zu verlagern begann, im Jahre 1627, entstand die monumentale Christophorus-Statue für den St.-Paulus-Dom zu Münster. Ihre Aufstellung hat sie in der Westvierung des Domes gefunden, wo sie heute noch steht. Durch diese Aufstellung an der Ecke des nordöstlichen Vierungspfeilers gewann die Statue eine Ausrichtung zu beiden Haupteingängen des Domes, zum West- und Paradies-Portal, zur visuellen Begegnung mit den Gläubigen, die hier den Kirchenraum betraten. Um die "heilbringende Schau" in Erfüllung gehen zu lassen: der Schutzheilige gegen einen unvorhergesehenen Tod sollte unübersehbar auffallen.

Ursprünglich farbig gefasst

Der heutige Erhaltungszustand der Statue ist nicht der ursprüngliche. Eine Aufnahme des Westfälischen Amtes für Denkmalpflege aus der Zeit um 1900 zeigt, dass die Statue ursprünglich farbig gefasst war. Wie weit diese Statue in die neuzeitliche Farbfassung des Dominneren eingebunden war, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Die einzige spätmittelalterliche Wandmalerei des Domes (aus der Zeit um 1450), die bis 1945 noch erhalten geblieben war, die "Lichtvision des hl. Paulus vor Damaskus" vom Meister des Schöppinger Hochaltars, befand sich an der südlichen Seite des Vierungspfeilers, dem die Statue vorangesetzt ist.

Die Wandmalereien der Zeit um 1880 haben die Statue zuletzt in die "Gemeinschaft der Heiligen" eingebunden: sie war umgeben von den Darstellungen der Heiligen Anna und Elisabeth, Papst Gregor des Großen und Antonius von Padua. Im Zuge der Bombardierung des Domes 1944/45 wurde die Christophorus-Statue nur geringfügig beschädigt. Im Rahmen der Wiederherstellungsarbeiten ging die Farbfassung der Statue - durch Abwaschen - völlig verloren. Der Verlust der originalen Farbigkeit der Statue und ihres Sockels mit himmlischer und heraldischer Zierde hatte immerhin ihre Bedeutungsdimension geschmälert. Der Baum in der linken Hand des Heiligen wurde erneuert: statt des ursprünglichen Baumes mit Laub und Früchten wurde der Statue ein entlaubter Baum als Stütze in die Hand gegeben.

Die Bildgestalt des Heiligen steht aufrecht im Typus robuster Männlichkeit, barhäuptig und vollbärtig, ernst im Gesichtsausdruck, mit zusammengezogenen Augenbrauen. Sein rechtes Standbein trägt die Last des Körpers, das linke Spielbein ist nach vorne ein wenig über die linke Kante der Sockelplatte gestreckt. Die linke Hand hält stützend den Baumstamm. Es fällt gleich auf, dass der Bildhauer nicht den armen Fährmann dargestellt hat, wie ein unbekannter Bildhauer ihn für die St. Christophorus-Kirche in Werne um 1630 (Abb.1) vergegenwärtigt hat, sondern einen vornehmen Christusträger: Christophorus trägt hier einen knielangen Kittel und darüber einen modischen, reich mit Verschnürungen verzierten Koller mit hohem Halskragen und darüber ein Schultertuch. Auf seiner rechten Seite hängt eine nicht minder verzierte Reisetasche mit Brot und Fisch.

Mild lächelndes Jesuskind

Seine Rechte in die Seite gestemmt trägt Christophorus das mild lächelnde, auf seiner rechten Schulter thronende Jesuskind: seine Rechte ist zum Segen erhoben, seine Linke hält eine Weltkugel mit goldenem Kreuz als Zeichen seiner Weltherrschaft. Sein Haupt zeichnet der bindende Kreuznimbus aus als zeichenhaftes Attribut seiner Göttlichkeit und seines Erlösungstodes. Das lange Gewand des Jesuskindes ist von zeitloser Schlichtheit.

Der hohe Sockel der Statue mit Inschrifttafel und Wappenzier stammt aus verschiedenen Zeiten: Unter den Füßen der Statue liegt ein flaches Podest, das die Stiftungsinschrift des Auftraggebers trägt. Hierin nennt sich der Auftraggeber Johann Heidenreich von Vörden zu Darfeld als Leiter der Domschule, als Domherr und Propst des Alten Domes zu Münster, der die Statue 1627 errichten ließ. Der unter der Inschrifttafel angebrachte Cherub und die ihn flankierenden vier väterlichen und mütterlichen Familien-Wappen des Stifters gehören auch zu dem Podest der Statue von 1627, wenn sie auch am Kapitell des spätgotischen, reich mit Maßwerk verzierten Sockel befestigt - quasi vorgesetzt - sind: dem mittleren Cherub zugeordnet links das väterliche Wappen Vörden zu Darfeld (geschachtetes Kreuz), und rechts das mütterliche Wappen Harmen (mit drei Hermelinen), links außen das Wappen Münster, rechts außen Droste.

Samson als typologisches Vorbild Christi

Die Namen dieser Adelsgeschlechter sind an der Oberkante des Podestes auch eingemeißelt. Die Bezeichnung des mütterlichen Wappens (Harmen) wurde leider (nach 1946) falsch mit "Harman" ergänzt. Die Familie Harmen (daher die Wappentiere: Hermelin, Hermelchen, Harmelchen) gehörte zu den alten Geschlechtern der Grafschaft Mark (um 1700 erloschen). Der spätgotische, mit Maßwerk verzierte Sockel der Statue trug ursprünglich eine ältere, wohl aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammende Christophorus-Statue, die den Zerstörungen der Wiedertäufer (1534/35) zum Opfer gefallen ist. Auf dem heute durch die vier Stifterwappen und den Cherub halbverdeckten Kapitell dieses Sockels -zwischen heraldisch stilisierten Ranken - erkennt man noch drei demolierte Szenen aus dem Leben des alttestamentlichen, mit ähnlichen Körperkräften ausgestatteten Samson, der die Tore von Gaza fortträgt, den Löwen zerreißt und die Säule des Palastes der Philister zerbricht (Richter 13-16).

Samson galt im Mittelalter und in der frühen Neuzeit als typologisches Vorbild Christi. In seinem Hebräerbrief erwähnt der Apostel Paulus Samson als Glaubenszeugen (Hebr.11,32). Die drei Taten Samsons weisen symbolisch/typologisch auf das Erlösungswerk Christi hin: der Löwenkampf Samson (mittig) auf seine Passion; das Einstürzen des Palastes auf seinen Tod (rechts); das Forttragen der Tore von Gaza auf seine Auferstehung (links), die um 1263/64 verfasste "Goldene Legende" (Legende aurea) des Jacobus de Voragine berichtet über das Leben des Heiligen ausführlich: Der Riese Reprobus (= der Verworfene) -nach seiner Taufe heißt er Christophorus, das heißt Christusträger - suchte sich den mächtigsten König, nur diesem will er dienen.

Als der König bei einem Spielmannslied, in dem mehrmals der Teufel genannt wird, sich jedes Mal bekreuzigt, muss er zugeben, dass er sich vor dem fürchtet. Da verlässt Christophorus ihn, um dem Mächtigeren zu dienen. Er stellt sich in den Dienst des Teufels. Sie ziehen gemeinsam des Weges, da wird ein Kreuz sichtbar, der Teufel macht ausweichend einen großen Bogen um das Kreuz und er muss zugeben, dass er das Bild des Gekreuzigten über alles fürchtet. Christophorus verlässt ihn und will nun diesem Mächtigeren dienen. Lange ist er auf der Suche und übernimmt die Aufgabe, durch einen Einsiedler angeregt, Menschen auf seinem Rücken über einen Fluss zu tragen, da er groß und stark ist.

"Mehr als die ganze Welt hast du getragen"

Eines Nachts ruft ihn die Stimme eines Kindes, das hinübergebracht werden will. Da er mit dem Kind auf der Schulter ins Wasser steigt, fürchtet er, zu ertrinken, und denkt, es läge als Last die ganze Welt auf seinen Schultern. "Mehr als die ganze Welt hast du getragen", sagt ihm das Kind, "der Herr, der die Welt geschaffen hat, war deine Bürde"… Darauf tauft das Jesuskind ihn. Am Ufer erkennt Christophorus Christus als seinen Herrn. Der Stab, auf den er sich im Fluss stützte, fängt an zu grünen und blühen und trägt Früchte als Zeugnis für seine Taufe durch Christus.

Die Verehrung des heiligen Christophorus als Märtyrer ist seit dem 5. Jahrhundert nachzuweisen. Das älteste Zeugnis seiner Verehrung ist eine Inschrift über die Deposition seiner Reliquie in der Christophorus-Kirche in Chalkedon in Bithynien (ehem. Königreich im nordwestlichen Kleinasien). Die morgenländischen Handschriften des 8. Jahrhunderts berichten über den menschenfressenden Kynokephalen (hundsköpfigen) Reprobus, der in der Taufe den Namen Christophorus erhält und durch Gottes Gnade die menschliche Sprache und wirkt als Missionar. Die abendländischen Fassungen seiner Legende mildern das Monströse: Christophorus wird ein menschlicher Riese. Von Anfang an gilt der Name Christophorus als Bezeichnung des wahren Christen, der Christus in sich trägt.

Reliquien in Rom seit dem 8. Jahrhundert bezeugt

Früh wurde Christophorus in Kleinasien, Syrien, Palästina und Ägypten verehrt. Zu den frühen Zeugnissen seiner Verehrung in Italien gehören ein Christophorus-Kloster im Bistum Taormina und eine Christophorus-Kirche südlich von Ravenna. An vielen Orten wurde der Heilige als Patron der Pilger verehrt. Seine Reliquien sind in Rom seit dem 8. Jahrhundert bezeugt. Papst Agapet II. (946-955) schenke Christophorus-Reliquien an Erzbischof Bruno von Köln, den Bruder Ottos I.. Der Hohe Dom zu Münster besitzt seit dem 14. Jahrhundert Christophorus-Reliquien, die sich in den Reliquienstatuetten der Heiligen Apostel Jakobus und Philippus im Hochaltar und in einer Reliquien-Monstranz der Domkammer von um 1460 befinden, die im "Thesaurus Sanctarum Reliquiarum" des Domes von 1622 erwähnt sind.

Spätestens seit der Mitte des 12. Jahrhunderts wurde im Abendland die Idee des Christus-Trägers im Bilde des heiligen Christophorus schaubar gemacht, der auf der mittelalterlichen Vorstellung von der "heilbringenden Schau" beruht. Der Glaube an die apotropäische Kraft des Heiligen war dominant: das Hauptanliegen, das der mittelalterliche Christ an den Heiligen hatte, war, dass der Heilige ihn vor einem "jehen Tod" schützen soll. Besonders im Spätmittelalter und in der Frühneuzeit bekommt die volkstümliche Verehrung des Heiligen neue Dimensionen als Patron der Pilger und Reisenden und einer der vierzehn Nothelfer, vornehmlich als Patron in der Todesstunde und gegen Pestgefahr.

Kritik an Verehrung

Diese breite volkstümliche Verehrung blieb nicht ohne Kritik: Luther (Tischreden, 6, Band: Von S. Christoph Legenden) und Erasmus von Rotterdam ließen die Christophorus-Legende nur als Allegorie des christlichen Lebensweges gelten. Auch die katholische Reformbewegung des 16./17. Jahrhunderts wandte sich gegen die abergläubische Seite der Christophorus-Verehrung (z.B. Federigo Borromeo, De pictura sacra, lib. II. cap. XI). Trotz der Ablehnung der gegenreformatorischen Schriften setzte sich auf katholischer Seite vielfach die allegorische Auffassung vom Christusträger als dem wahren Christen durch. Zurzeit des Dreißigjährigen Krieges trugen besonders die Christophorus-Bruderschaften zur Verehrung des Heiligen bei.

Noch ein kurzer Blick auf unsere Zeit: Volkstümliche Innovation in der Heiligenverehrung haben Seelsorger gerade in der Christophorus-Verehrung aufgegriffen. Seitdem Christophorus immer mehr als Patron des Verkehrs und der Autofahrer (nach 1900) Anerkennung fand, begleiten seelsorgliche Maßnahmen das Brauchtum. In St. Christophorus im Wienerwald fand im Sommer des Jahres 1928 die erste Fahrzeugweihe statt.

Von Berlin aus startete die erste Auto-Wallfahrt zum ehemaligen Kloster Lehnin 1929, von München die erste Kraftfahrer-Wallfahrt 1932 nach St. Christoph bei Wasserburg. Heute finden Kraftfahrzeug-Segnungen an seinem Festtag (25. Juli) statt; in ländlichen und städtischen Regionen werden am Pfingsttag Häuser wie Fuhrwerke und Autos mit frischem Baumgrün geschmückt. Eine integrierte Seelsorge greift das menschliche Bedürfnis nach Schutz, Verehrung und Segen auf, versucht halb magische Vorstellungen zu korrigieren und im Gottesdienst christozentrisch auszurichten" (Klaus Guth).

Stiftung des Domscholasters Johannes Heidenreich von Vörden

Wer war der Auftraggeber dieser Statue? Die Inschrift der steinernen Tafel in der Mitte des 55 cm hohen Podestes, wie oben bereits erwähnt, hält die Stiftung des Domscholasters Johannes Heidenreich von Vörden fest. Seine Eltern waren Jobst von Vörden zu Darfeld, Vreden und Fürstenau und Margarethe von Harmen. Seit 1607 gehörte er zum Domkapitel. 1621 wurde er zum Propst des Alten Domes gewählt. Seine Wahl zum Domscholaster (Leiter der Domschule) erfolgte am 14. November 1625. Nach dem Tode des Rembert von Ketteler ordnete der Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen ihn am 6. Juni 1653 zum Präsidenten des Domkapitels. Der Domscholaster Johann Heidenreich von Vörden starb in hohem Alter am 7. September 1666 (n. W. Kohl).

Wer war der Bildhauer dieser Monumentalstatue? Max Geisberg hat schon 1937 auf den Bildhauer Johann von Bocholt hingewiesen: "Leider ist der Name des Bildhauers immer noch unbekannt. Sicher war es nicht Gerhard Gröninger, der 1612 vom Junker Jobst von Vörden auf Darfeld, wohl einem Bruder des Domherrn (des Auftraggebers) mit der Ausführung einer bekannten Galerie beauftragt war. Er geriet in einen Prozess mit seinem Bauherrn, der 1616 denselben Bildhauer Johann von Bocholt als Sachverständigen berief, mit dem Gröninger 1615 den Zusammenstoß wegen des Giebels des Stadtweinhauses (in Münster) gehabt hatte. Bocholt starb 1631.

Bildhauerische Ausführung des Stadtweinhauses

Dass er großen Ansehens sich erfreute, beweist die Tatsache, dass der Rat ihm die bildhauerische Ausführung des Stadtweinhauses übertragen hatte. Außer dem Stadtwappen an seinem Giebel, das eine gewisse Ähnlichkeit mit den Wappen des Christophorussockels verrät, sind plastische Arbeiten Johann von Bocholts nicht bekannt. Vielleicht ist er der Bildhauer der bedeutenden, monumentalen wenn auch derben Figur." Vor Geisberg wies Hermann Esser bereits darauf hin, dass Johann von Bocholt 1619/20 auch der Bildhauer des Epitaphs für Conrad Gumprecht von Bentheim, Graf zu Limburg, in der ehemaligen Klosterkirche der Praemonstratenser St. Fabian und Sebastian in Hohenlimburg-Elsey war (Heimatblätter für Hohenlimburg und Umgegend, 7. Jg., 1933, S. 30).

Die neuere Fachliteratur ging nicht über das Registrieren dieser drei hier erwähnten Arbeiten des Bildhauers hinaus. In chronologischer Reihenfolge: Stadtweinhaus in Münster, 1615; Bentheim-Epitaph in Elsey, 1619/20; Christophorus-Statue in Münster, 1627. Dazu stellt sich die Frage, ob die beiden Statuen der Heiligen Petrus und Karl d. Gr. von 1627 in der Paradiesvorhalle des Domes eventuell die Arbeiten des Bildhauers Johann von Bocholt sind? Dabei ist die Übereinstimmung des Entstehungsjahres (1627) mit dem der Christophorus-Statue nicht entscheidend.

Diese Skulpturen des Domparadieses wurden 1989 noch Gerhard Gröninger zugeschrieben (G. Jászai), doch die stärkere Zurücknahme der Körperbewegung, das Insich-Ruhen der Figuren sprechen eher für die statuarische Auffassung des Johann von Bocholt, die auch die robuste Männlichkeit der Christophorus-Statue so charakteristisch auszeichnet.


Text: Géza Jászai
Fotos: Michael Bönte, Kirche+Leben
Dezember 2004