Sieben Gestalttypen lassen sich unterscheiden
1. Liudger als jugendlicher Verkünder des Evangeliums in priesterlichem Ornat (ohne bischöfliche Insignien) wie zum Beispiel auf dem Buchdeckel des "Goldenen Evangeliars" von Echternach, 10. Jh.(Nürnberg, Germanisches Museum) , bisweilen auch auf Münzen und Siegeln.
2. Der Typus des Heiligen in vollem bischöflichen Ornat, mit Mitra, Stab und Buch, noch ohne individuelle Attribute, erscheint bereits um 1100, zum Beispiel in dem "Liber Vitae" der Abtei Corvey (Münster, Nordrhein-Westf. Staatsarchiv) oder auf der Stirnseite des Felicitas Schreines (Münster, Domkammer), ähnlich auf Münzen und Siegeln des hohen Mittelalters.
3. Liudger als Gründer der Benediktinerabtei Werden (Essen-Werden) mit dem Modell der Werdener-Klosterkirche in bischöflichem Ornat, etwa seit dem späten Mittelalter, zum Beispiel auf dem Kapitelkreuz der Abtei Werden, 14. Jh.; graviert auf dem Beschlag des so genannten Gürtelreliquiars des Heiligen in der Werdener Schatzkammer vom Ende des 15. Jahrhunderts oder auf einer Miniatur im Psalter des 1502 verstorbenen Fr. Hugenpoet, ebendort; - bei den beiden letzteren erscheint vielleicht das erste Mal das individuelle Attribut des Heiligen, das Gänsemotiv, das auf die folgende Legende zurückzuführen ist: "Einst weilte der ruhmreiche Schutzherr Werdens auf dem Haupthof Welde an der Erft.
Dort trat ein, was ihn in Werden durch Gottes Eingebung geoffenbart worden war.Alsbald stand nämlich der Bauer des Hofes vor dem Gottesmann und klagte: "Ach, Herr, täglich richten die Gänse auf unserem wohlbestellten Acker großen Schaden an. Was ich auch säe, fressen sie sofort auf, selbst die sprießenden Saaten weiden sie ab. Somit fügt uns so Unglücklichen allein dieses Getier beständig großen Schaden zu". "Warum", gab ihm der Diener des Herrn sogleich zur Antwort, "hast du sie nicht zusammengetrieben und eingesperrt, bis sie versprochen hätten, niemals wieder mit ihren Schaden anrichtenden Schnäbeln unsere Habe zu berühren?".
Das hatte er nicht im Ernst, sondern im Scherz gesagt, was jedoch nur ihm bekannt war. Da der Bauer es hörte, lief er stracks davon. Als er die Vögel gefunden hatte, rief er: "Geht, geht weg und lauft zum Bischof!" Wie nun der höchste Herr die Vögel auf Befehl des Bauern zusammentrieb, liefen sie plötzlich davon. Der Bauer folgte, bis die Gänseherde zusammen und in einem engen Hof eingeschlossen war. Schon war auch der Gottesmann dort. Beim Anblick der eingefangenen Gänse segnete er sie zunächst. Als er ihnen Ruhe geboten, belehrte er sie, von ihm hätten sie nichts zu befürchten. Morgen sollten sie sich davonmachen und nie wieder den Acker verwüsten, wofür sie zusammengetrieben und festgesetzt seien. So geschah es, und die Tat hat sich bewährt. Die Gänse befolgen noch immer diese gerechten Weisungen, denn bis heute wagen sie nicht, den Acker zu betreten’.
4. Liudger in vollem bischöflichen Ornat mit dem Modell der Ludgerikirche zu Münster als Bistumsgründer, seit dem 15. Jahrhundert vielfach als Statue in verschiedenen ikonographischen Zusammenhängen, bis in unsere Zeit reichend, zum Beispiel Statue des Bildhauers Bernt Katmann, um 1600 (Münster, St. Paulus-Dom); ähnlich im Chorraum der Ludgerikirche zu Münster (1603) oder auf einem kolorierten Kupferstich von Jan Boel (Amsterdam, um 1620), der im Auftrage des Münsterschen Domdechanten Heidenreich von Lethmate entstanden ist (Münster, West. Landesmuseum).
5. Liudger als Bischof mit dem Modell der alten oder neuen Ludgerikirche zu Billerbeck als Glaubens- und Bistums-Pfleger, besonders auf Denkmälern der späten Neuzeit, überwiegend in der Gegend von Billerbeck.
6. In der Barockzeit kommt es in Münster zu einer ikonologisch wichtigen Differenzierung. Auf den Kalenderblättern des Domkapitels erscheinen der hl. Carolus magnus (Kaiser Karl der Große) als Bistumsgründer (fundavit) und Bischof Liudger als "Bistums-Propagator" (fundavti) und Bischof Liudge rals "Bistums-Propagator" (propagavit) dargestellt, der die Glaubenssaat des hl. Paulus (plantavit) und die Gründung Karls des Großen zu erster Blüte gebracht hat; so auch auf den monumentalen Alabasterreliefs der ehemaligen Chorschranken von 1699/1706 von Johann Mauritz Gröninger (Münster, Domkammer).
7. Etwa seit dem Spätbarock finden sich Darstellungen des hl. Liudger mit pontifikalem Segensgestus, zum Beispiel Reliquienbüste von 1735 in der Sterbekapelle des Heiligen im Billerbecker Dom, besonders im 18./19. Jahrhundert verbreitet. Zu diesem Typus gehört auch die hier vorgestellte Reliquienstatue des Münsterschen Domes von 1880. Die segnende Rechte versinnbildlicht die Kraft des göttlichen Segens, um mit Romano Guardini zu sprechen.Es ist "ein sichtbares Zeichen unsichtbarer Gnade".
Text: Géza Jászai
Fotos: Michael Bönte, Kirche+Leben