Der bronzene Bildniskopf Kardinal von Galens

Im Spätherbst des Jahres 1950 erhielt der Bildhauer Edwin Scharff vom Bistum Münster den Auftrag, ein Bronzebildnis des Kardinals von Galen für das Foyer des Bistumsarchivs zu gestalten. Clemens August weilte bereits seit vier Jahren nicht mehr unter den Lebenden. Es blieben die Erinnerungen, die zahlreichen Spiegelbilder des technischen Mediums Fotografie und die Totenmaske. Hilfsmittel, die dem Porträtisten als Modellersatz zur Verfügung stehen, die künstlerische Gestaltung jedoch nur unwesentlich bestimmen können. In der Hamburger Werkstatt des Bildhauers entsteht zuerst der Bildniskopf mit dem Pileolus, dem kleinen runden Käppchen auf dem Haupt des Bischofs.

Die charakteristisch klar erfasste Physiognomie beherrscht das Bildwerk: Die hohe, breite Stirn über dem in die Ferne gerichteten Blick, die kräftige gebogene Nase, die energische Linie des geschlossenen Mundes, die Falten um die Augen, die Furchen um Mund und Gesicht beleben die Physiognomie. Der ganze Ausdruck ist durch Vornehmheit, Güte und Kraft geprägt. Wirft man von hier aus einen Blick auf die Totenmaske, wird gleich klar, dass sie ein Produkt der reinen Technik ist. Um mit Ernst Buschor zu sprechen: "Die Technik kann, wenn sie auf sich gestellt ist, das Sakrale nie, das Menschlich-Lebendige nur in dürftiger, vieldeutiger Spiegelung festhalten. Auch der Schluss, dass der Tod vollende, was im Leben nur Stückwerk geblieben sei und dass die Totenmaske diese Vollendung aufzeige, ist irrig: der Spiegel der zurückbleibenden, sich auflösenden Körperlichkeit enthüllt nur eine Bruchstückweisheit, die vor der höheren Realität verstummt".

"Die Büste nimmt mich sehr gefangen"

Edwin Scharff hat dieses Problem der Gestaltung mit großer Klarheit gesehen: "Die Büste nimmt mich sehr gefangen, denn ich möchte etwas schaffen, was dem Augenblicklichen entrissen, ein zeitloses Bild des Kardinals geben will – so hoffe ich, wie auf den alten Bischofsgräbern ein allgemein gültiges Bildnis zu schaffen. Es ist eine schwere Aufgabe, und ich kann wohl sagen, ich ringe mit der Arbeit. Die Aufgabe sehe ich als eine überzeitliche an". So in einem Schreiben des Bildhauers vom 22. November 1950 an das Domkapitel (frdl. Mitteilung von Peter Löffler).

Das Überzeitliche zu erfassen, gelingt dem Bildhauer erst beim zweiten Schritt voll, in dem er den Bildniskopf des Kardinals mit der Mitra, der charakteristischen Kopfbedeckung der Bischöfe darstellt: Die Physiognomie des Dargestellten – im Vergleich mit dem Bildniskopf ohne Mitra – gewinnt mehr Spannkraft und Klarheit. die hohe Stirn bedeckt hier die Mitra als Würdezeichen, bedeckt und hebt zugleich ins Überzeitliche, - nicht nur durch die stärkere Stilisierung, durch die beseelte Vereinfachung der Physiognomie oder die Würdeform der Mitra, sondern auch durch das zeitlose Bildmotiv des Guten Hirten, das die Schauseite der Mitra schmückt.

Es ist gleichermaßen auch das Symbol für das höhere Ich des Dargestellten, Sinnbild für die höhere Realität. Diese ist in der biblischen Quelle des Bildmotivs vollends zum Ausdruck gebracht: "Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt setzt sein Leben ein für seine Schafe. Der Lohnknecht – der ja kein Hirt ist, dem die Schafe zu eigen gehören – schaut, wie der Wolf kommt, verlässt die Schafe und flüchtet. Und der Wolf raubt und versprengt sie. Denn, wer Lohnknecht ist, kümmert sich nicht um die Schafe. Ich bin der gute Hirt. Und ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich – so wie mich der Vater kennt, und ich den Vater kenne. Und mein Leben setze ich ein für die Schafe" (Johannes 10,11-15).

Unerschrocken vollbrachtes Leben

Dieses Symbol weist auf das unerschrocken vollbrachte Leben des Kardinals hin, das in dieses Bildnis eingegangen ist. Alle Einzelheiten - Augenausdruck, Stirn, Nase, Mundpartie und Kinn – bleiben in das Ganze harmonisch eingeordnet. Edwin Scharff deutet das Gesicht nicht subjektiv: er will seine Wahrheit, die das Überzeitliche aufzeigt, zum Ausdruck bringen. Die erste Fassung des Bildniskopfes (ohne Mitra) befindet sich heute noch an ihrem ursprünglichen Bestimmungsort im Foyer des Bistumsarchivs. Die beiden ersten Bronzegüsse des Bildniskopfes des Kardinals mit Mitra gelangten in das Museum Heimathaus Münsterland in Telgte und in die Städtische Kunsthalle zu Recklinghausen.

Ein dritter Guss befindet sich im Edwin Scharff-Museum in Neu-Ulm. Ein vierter, der hier vorgestellte, gelangte erst später in den St. Paulus-Dom zu Münster: Am 8. Februar 1976 beschloss das Kapitel des Hohen Domes zu Münster, einen Guss des Bildniskopfes für die Umgestaltung der Ludgerus-Kapelle des Domes, der Grabkapelle des Kardinals von Galen – anlässlich seines 30. Todestages – herstellen zu lassen. Der Guss erfolgte nach dem originalen Gipsmodell des Bildhauers in der Bronzegießerei Schmäke in Düsseldorf und wurde am 19. März 1976 auf einer steinernen Konsole in der Grabkapelle des Kardinals aufgestellt. Im Zusammenhang mit der Neugestaltung der Grabkapelle des Kardinals – angeregt durch den Besuch des Papstes Johannes Paulus II. in Münster 1987 – nach den Plänen des Düsseldorfer Architekten Rolf Cummenauer wurde der Bildniskopf in ein neues Bezugsfeld eingeordnet: Auf eine Säule gesetzt (Symbol für die starke Stütze der Kirche) wurde das Bronzebildnis vor der Kapelle – mit Blick zum Altar, vor dem seine irdischen Überreste ruhen, aufgestellt.

Zeichen für die Wiederkunft Christi zum Weltgericht

Den Altar der Grabkapelle flankieren links ein Lichtkreuz (Zeichen für die Wiederkunft Christi zum Weltgericht) und rechts ein gläserner Reliquienschrein mit der Statue des hl. Liudger, des ersten Bischofs von Münster, aus dem Jahre 1880 und einem Tragaltar mit den Reliquien des Heiligen. Bischof Clemens August von Galen war der 70. Nachfolger des Titelheiligen seiner Grabkapelle, des heiligen Liudger. Diese Neuaufstellung des bronzenen Bildniskopfes im Chorumgang des Hohen Domes zu Münster 1989 – mit Blick zum Altar und Markierung des "ehernen" Weges – evoziert die Erwartung seiner Seligsprechung zur Ehre der Altäre. Das Bronzebildnis des Kardinals von Galen ist ein Spätwerk des Bildhauers Edwin Scharff (1887-1955). Es ist vier Jahre vor seinem Tode, in seinem 64. Lebensjahr entstanden, - es gehört überhaupt zu den letzten Bildnissen, die der Bildhauer geschaffen hat. Seine künstlerische Ausbildung begann Scharff sehr früh, bereits als Fünfzehnjähriger. 1902 besucht er die Kunstgewerbeschule in München mit Unterricht in Naturzeichnen, Gebrauchsgrafik und Architektur.

Ein Jahr später setzt er sein Studium an der Bayerischen Akademie der Bildenden Künste fort. Es folgen Reisen nach Italien und Frankreich. 1912 beginnt Scharff mit den ersten Bildhauerarbeiten. Von 1915 bis 1918 leistete er Militärdienst im Ersten Weltkrieg. Der 36-Jährige erhielt den Ruf als Professor an die Hochschule für Bildende Künste in Berlin. Zahlreiche öffentliche Aufträge markieren seinen weiteren künstlerischen Weg: Entwürfe für ein Beethoven- und ein Heine-Denkmal, Büste des Reichspräsidenten Hindenburg für das Reichstagsgebäude u.a..

Es beginnt eine intensive Beschäftigung mit dem Porträt: Die Bildnisbüsten des Kunsthistorikers Heinrich Wölfflin, der Maler Max Liebermann und Lovis Corinth, und des Schriftstellers Heinrich Mann gehören zu seinen bedeutendsten Arbeiten. 1927: Erste Gesamtausstellung seiner Werke in der Berliner Akademie. 1934 wurde er an die Kunstakademie in Düsseldorf versetzt und drei Jahre später bekommt Scharff Arbeitsverbot durch die nationalsozialistische Regierung. 1945 beginnt er die Arbeit an der Marienthaler Kirchentür, die er 1949 vollendet. 1946 beruft man ihn als Professor an die Landeskunstschule in Hamburg. 1947: Gesamtausstellung seiner Werke im Hamburger Kunstverein.

"Ein zeitloses Bild"

1950/51 ringt er mit der Aufgabe, "ein zeitloses Bild" des Kardinals von Galen zu gestalten. Edwin Scharff ist im Alter von 68 Jahren am 18. Mai 1955 in Hamburg gestorben. An sein künstlerisches öffentliches Wirken im Bistum Münster erinnern die eben erwähnte Bronzetür der Marienthaler Klosterkirche und der hier vorgestellte Bildniskopf des Kardinals von Galen.
 

Text: Géza Jászai
Fotos: Michael Bönte, Kirche+Leben
06.05.2004