Die Bronze-Skulptur "Der Bettler"

Um ein bedeutendes Kunstwerk reicher ist der St.-Paulus-Dom in Münster: Im Kreuzgang wurde der "Bettler", eine Bronzefigur des Künstlers Ernst Barlach, aufgestellt.

Die Plastik des "Bettlers" sei eine der qualitätsvollsten und beeindruckendsten Schöpfungen Barlachs, sagt Udo Grote, Domkustos am St.-Paulus-Dom in Münster. Dass die Figur jetzt im Dom zu sehen sei, sei ein Glücksfall. Der Künstler schuf das Modell im Jahr 1930. Die Bronzefigur im Dom ist einer von insgesamt acht Güssen, die die Nachlassverwaltung Barlachs um 1979/1980 anfertigen ließ. Die 2,17 Meter große Figur stand bisher in der St.-Laurentius-Kirche in Herne. Sie ist eine private Stiftung des Pfarrers Franz Josef Hoffmann, der sie jetzt dem Dom in Münster übergab, um sie einem größeren Publikum zugänglich zu machen.

Die Plastik des "Bettlers" entstand im Zusammenhang mit der Planung eines groß angelegten Figurenzyklus für die Fassade der Katharinenkirche in Lübeck. Der Lübecker Museumsdirektor Carl Georg Heise, ein Förderer der modernen Kunst, hatte die Idee, an der Westfassade der Kirche mehrere überlebensgroße Figuren unter dem Thema "Gemeinschaft der Heiligen" anzubringen. Die Finanzierung des Projekts sollte durch den Verkauf von Zweitanfertigungen gesichert werden.

Für die Figurenfolge griff Ernst Barlach auf bereits skizzierte Figuren zurück. Nach seiner Russlandreise 1906 waren Plastiken wie "Blinder Bettler" und "Russische Bettlerin mit Schale" entstanden. Auch nach dem Ersten Weltkrieg hatte er sich sowohl in seinen Plastiken als auch in seinem literarischen Werk mit dem menschlichen Leid beschäftigt.

Von den sechs Modellen, die er für die Katharinenkirche anfertigte, realisierte er zwischen 1930 und 1932 lediglich drei Figuren: den "Bettler" (1930), den "Sänger" (1931) und die "Frau im Wind" (1932). Sie entstanden nach Vormodellen aus Gips als Klinkerbrand, um sie in die Nischen der Fassade der Backsteinkirche zu integrieren. 1932 wurden die drei Figuren im Chor der Katharinenkirche aufgestellt.

Spannende Geschichte

"Der Kampf um die Realisierung des Figurenzyklus ist ein spannendes Kapitel der Kunstgeschichte", schreibt Grote in einer Broschüre, die aus Anlass der Aufstellung des "Bettlers" im Dom erscheint. Denn schon Heises Pläne seien heftigen Angriffen ausgesetzt gewesen. Widerstand habe es von der Bevölkerung, von kirchlicher Seite und von Mitgliedern des Vereins für Heimatschutz gegeben. Vor allem die Figur des "Bettlers" wurde denunziert als "Vertreter der kraftlosen unmännlichen Lehre vom irdischen Jammertal". Auch nach der Aufstellung der Figuren im Chor der Kirche war der "Bettler" scharfer Kritik ausgesetzt. Während der Nazizeit wurden fast 400 Werke Barlachs als "entartete Kunst" beschlagnahmt, darunter auch die drei Figuren in der Katharinenkirche.

Um die Herausgabe der Figuren begann ein monatelanges Tauziehen zwischen Heise, der inzwischen seines Amtes als Museumsdirektor enthoben war, und den Behörden. Im Februar 1939 erhielt Heise die Figuren unter der Bedingung zurück, sie verborgen zu halten. "So wanderten sie in Kisten, die ein freundlich gesinnter Lübecker Spediteur stiftete, vom Gerichtsgebäude in ein privates Versteck, unter der Veranda im Hause meiner Schwiegermutter", erzählte er später.

Dennoch bemühte sich Heise, das Fassadenprojekt fortzusetzen. Schon 1934 hatte er den Künstler Gerhard Marcks gebeten, Entwürfe für weitere Plastiken zu skizzieren. Während der Kriegszeit ruhten die Bemühungen Heises. Doch schon im Dezember 1945 appellierte er an den Lübecker Oberbürgermeister, die Aufstellung der drei vorhandenen Figuren Barlachs und der von Marcks geplanten Plastiken zu ermöglichen. "Sie sind keine kirchlichen Bildwerke im eigentlichen Sinne, aber würdige Zeugnisse einer tief religiösen Gesinnung. Sie sind eigens für die Fassade der Katharinenkirche gearbeitet und können nur dort ihre beabsichtigte Wirkung tun", lautete sein Argument. Nach einer Eingabe beim Lübecker Oberbürgermeister und einer Unterschriftenaktion beschloss der Senat, die Figuren wieder aufzustellen.

1947 wurden die drei Figuren Barlachs in die Westfassade der Katharinenkirche eingefügt. Der Künstler erlebte das allerdings nicht mehr. Er war 1938 gestorben. Anders als ursprünglich geplant, steht der "Bettler" heute zwischen den beiden anderen Figuren. Diese beiden eher ruhigen Figuren böten einen tragenden Rahmen für die expressive Gestalt des "Bettlers", schreibt Grote: "'Der Sänger' verkörpert Ruhe und Schönheit der Musik, die ruhig stehende 'Frau im Wind' Wissen und Leid. Sie sind Sinnbilder des menschlichen Daseins, und alle drei ergeben eine Zusammenfassung von Barlachs Deutung des Menschen."

Menschliche Grundzüge

Schon Heise hatte darauf hingewiesen, dass es sich bei der Figurengruppe, die ja unter dem Motto "Gemeinschaft der Heiligen" angelegt wurde, nicht um traditionelle Heiligengestalten, sondern um die Darstellung menschlicher Grundzüge handelt. Gemeint war "das heiligende Verhalten derer (...), die aus den Nöten des irdischen Alltags die Verbindung mit den rettenden Kräften einer höheren Welt mit verzehrender Leidenschaft suchen, zwar sie nicht immer finden, aber zu ihr auf dem Wege sind. Eigentlich setzt Barlachs gesamtes Lebenswerk sich aus Gestalten solcher Art zusammen: Stationen des eigenen Ringens, Suchens und Findens."

Text: Almud Schricke, Kirche+Leben
Foto: Michael Bönte, Kirche+Leben
Werk: Copyright Ernst Barlach Lizenzverwaltung Ratzeburg
23.08.2007