Unerschütterlicher Wille zum Wiederaufbau

In einem jahrelangen Kraftakt bauten die Katholiken des Bistums Münster den im Zweiten Weltkrieg zerstörten St.-Paulus-Dom wieder auf. Die Kathedrale als das geistliche Zentrum der Kirche von Münster konnte nach zehnjähriger Bautätigkeit wiedereröffnet werden. Mit einer Domfestwoche feierten vom 14. bis 21. Oktober 1956 mehr als 100.000 Gläubige aus allen Regionen der Diözese die Wiedererrichtung und bestaunten die architektonische Neuordnung des Doms. Der Dom bewahrte die spätromanische Grundstruktur, galt aber als ein "modernes Gotteshaus".

Schon in den frühen Morgenstunden eilten Tausende von Gläubigen aus dem oldenburgischen Teil des Bistums zu den Bahnhöfen. Sonderzüge aus Delmenhorst, Wilhelmshaven und Oldenburg brachten sie nach Münster. Die Domfestwoche hatte sie zu einem "Tag der Oldenburger" eingeladen, und es kamen so viele, dass eilig herbeigeschaffte Lautsprecher das Pontifikalamt mit Bischof Michael Keller in den Kreuzgang, in die Marienkapelle und auf den Domplatz übertragen mussten. Der Andrang zum Grab Kardinal Clemens August von Galens nach dem Pontifikalamt war so groß, dass viele sich mit einem späteren Besuch trösten mussten.

Der hohe Zuspruch der Domfest­woche überraschte manche Organisatoren. Sonderzüge aus dem Ruhrgebiet, vom Niederrhein, aus dem Sauerland und unzählige Sonderbusse aus dem Münsterland mussten eingesetzt werden, um die vielen Besucher zu "ihrem" Dom zu bringen. Vom 14. bis 21. Oktober 1956 stand das ganze Bistum im Zeichen der Festwoche zur Wiedererrichtung des St.-Paulus-Doms. In einem Hirtenwort hatte zuvor Bischof Keller die Gläubigen zur Teilnahme an den Feierlichkeiten eingeladen: "Der Dom zu Münster wird seine weiten Hallen wieder dem Gottesdienst öffnen. Fast sieben Jahrhunderte war dieser einzigartige Bau, die dritte Kathedrale in der Geschichte unseres Bistums, der sakramentale Mittelpunkt der weiten Diözese."

Die Festwoche mit ihren mehr als 100.000 Teilnehmern und die bereits einige Wochen zuvor vollzogene Weihe von zehn neuen Glocken, darunter die zum Gedenken an Bischof Graf von Galen benannte Kardinalsglocke, ließen die jahrelangen Diskussionen um den Wiederaufbau des Doms vergessen. Zu groß war die Freude darüber, endlich die öffentlichen und internen Kontroversen unter Architekten, Konservatoren und Theologen um die Aufstellung des neuen Hochaltars und die Gestaltung der zerstörten Westfassade hinter sich zu lassen.

Schon im Sommer 1945 entschied sich das Domkapitel, den Dom wiederzuerrichten. Pläne zu einem völlig neuen Bau einer Kathedrale fanden keine Zustimmung. Der ins Leben gerufene Dombau-Verein half tatkräftig mit, die nötigen Spenden zu sammeln. Bereits 1949 entstanden in mehr als 300 Pfarrgemeinden die Dombau-Vereine, die durch Beiträge die Baumaßnahmen sicherstellten. In einem Wort an die Gläubigen bekannte Bischof Keller im Juni 1949: "Die Einkünfte des Doms selber reichen kaum aus zur Besoldung des Küsters. Daher ist die Sicherung des Doms gänzlich abhängig von den Gaben der Diözesanen."

Bitte um Spenden

Erfolgreich warben die Dombau-Vereine mit Aufrufen wie diesem: "Auch Du willst bei einem Besuch des Doms sagen können: Ich gab 20 Pfennig dafür: 10 Hammerschläge zu diesem Bau stammen von mir! Ich gab 1 Mark: Fünf Ziegelsteine lieferte ich. Ich gab 5 Mark: Ein Werkstein wurde durch meinen Beitrag behauen."

Neben den Fragen der Finanzierung hatte Bischof Keller auch andere Probleme zu lösen. Eine rein restaurative Wiederherstellung der früheren Innengestaltung der Domkirche in all ihren Einzelheiten wurde allseits weder für sinnvoll noch für notwendig erachtet. Aber es musste gelingen, die liturgischen Anforderungen mit den Ansprüchen der Denkmalpflege in Übereinstimmung zu bringen. Nach intensiven Überlegungen sollte dem Altar eine zentrale Stellung zugewiesen werden, damit die Gläubigen ihn besser sehen konnten als den bisherigen Hochaltar, der etwa 33 Meter - ein Drittel der Gesamtlänge des Doms - von der Kommunionbank entfernt war. Diese "modernen Gotteshäuser", schrieb der Kirchenbau-Experte Anton Henze damals, seien nicht Ergebnisse von Willkür und Laune der Architekten, sondern Ereignisse der Liturgie. Sie würden den Gläubigen helfen, "aus stummen Zuschauern zu aktiven Gliedern der Opfergemeinschaft zu werden". Gerade die Gestaltung von Altar, Kathedra und Chorraum plante Bischof Keller so weitsichtig, dass nach der liturgischen Erneuerung des Zweiten Vatikanischen Konzils kein Umbau des Doms erforderlich war.

Zu heftigen Debatten führte die Gestaltung des Westchors und der Westfassade, die nach den Entwürfen der Architekten Emil Steffann und Fritz Thoma völlig neu konzipiert wurden. Diese Pläne entzweiten nicht nur den Klerus und die Katholiken, sondern auch den Stadtrat von Münster, der sich im Juli 1955 mehrheitlich gegen die Erteilung der Baugenehmigung zur Gestaltung der Westfassade aussprach. Auch der Bruder des 1946 verstorbenen Kardinals von Galen, Franz Graf von Galen, sprach sich gegen die moderne Gestaltung aus: "Das Münsterländer Volk hat in seiner überwiegenden Mehrheit heute ein Verständnis für die neuen Gedanken noch nicht gefunden."

Ungeachtet vieler Proteste blieben Domkapitel und Bischof bei der neuen künstlerischen Gestaltung der Westfassade. Bei einem Treffen mit dem Klerus in Münster sagte Bischof Keller: "Vor den verantwortlichen Stellen des Bistums stand die Frage: Soll der wiederhergestellte Dom ein Museum sein, das die Arbeiten früherer Jahrhunderte an unserem Dom getreulich nachbildet, oder aber ein Kultraum zum heiligen Dienst des Dreieinigen Gottes in der notvollen Gegenwart und lebendiges Zeugnis des Glaubens unserer Generation?" Nachdem die endgültige Entscheidung für die Wiederherstellung der Westfassade gefallen war, sagte Bischof Keller über die öffent­liche Diskussion: "Das letzte Urteil hierüber glaube ich getrost der Zukunft überlassen zu können."

Wie viele Besucher der Dom in den vergangenen fünf Jahrzehnten gezählt hat? Geht man von den mehr als 1.200 Kerzen vor den Seitenaltären und Heiligenfiguren aus, die an manchen Tagen von den Küstern der Kathedrale gezählt werden, können es bis zu 50 Millionen Menschen gewesen sein, die in den vergangenen 50 Jahren den Dom erlebt haben.


Text: Johannes Bernard, Kirche+Leben