Der Bischöfliche Gartensaal "Kachelzimmer"

Wenn sich Münsters Bischof Clemens August Graf von Galen nach dem Mittagessen eine kurze Siesta gönnen wollte, ging er im Palais am Domplatz in den historischen Gartensaal, der "nach hinten raus" führte: Hier konnte er seine geliebte lange Pfeife rauchen, ein wenig meditieren und dabei ins Grüne schauen. In Max Geisbergs Dokumentarwerk von 1932 über die Bau- und Kunstdenkmäler Münsters ist der Gartensaal mit seinen berühmten blaugemalten Majolika-Platten beschrieben und auch fotografisch dokumentiert. Was das buchstäbliche Glück im Unglück war. Denn zehn Jahre später wurde der Gartensaal aus der Zeit um 1750 völlig zertrümmert: Beim katastrophalen Bombenangriff am 10. Oktober 1943 entging der Bischof von Münster nur mit knapper Not dem Tod. Der festliche Rokokoraum mitsamt seiner edlen Fliesenvertäfelung war zerborsten und schien für immer zerstört. Und so kam es einem kleinen Wunder gleich, dass der Bischöfliche Gartensaal beim Bau der Domkammer neu entstand: als "Kachelzimmer" am Kreuzgang des Paulusdoms, dessen 750-jähriges Jubiläum vom 26. bis 28. September in Münster gefeiert werden wird.

Als 1945 endlich die Waffen schwiegen, waren vom Gartensaal des Bischofshauses nurmehr 20 große Kisten mit gut 4.000 Scherben übrig geblieben. Die Männer der Dombauhütte verstauten die Trümmerfragmente einstweilen im (später abgerissenen) Diözesanmuseum am Domplatz. 1968 wurde sie dem Landesdenkmalamt im Erbdrostenhof übergeben. Mitte der siebziger Jahre gab es erste Versuche einer Teilrestaurierung der Großfliesen. 1981 landeten alle Bruchstücke in einem Wirtschaftsgebäude des Handorfer Vorsehungsklosters, wo man sich daran machte, die geretteten Scherben zu großen Flickenteppichen zusammenzusetzen. Das kam einer Sisyphos-Aufgabe nahe, denn angesichts der zahlreichen Fehlstellen und nicht vollständigen Fotodokumentation der vier Wände des zerstörten Gartensaales schien die Rekonstruktionsaufgabe kaum zu lösen. Der Neubau von Offizialat und Domkammer 1980/81 befeuerten dann die tollkühne Idee, den früheren Bischöflichen Gartensaal aus der Zeit des Domdechanten Franz Egon von Fürstenberg nur zwei Steinwürfe vom früheren Standort entfernt wiedererstehen zu lassen. Das Werk gelang: Am 26. Februar 1984 konnte Bischof Reinhard Lettmann die Einsegnung des stimmungsvollen Raumes vornehmen.

Wer heute staunend im "Kachelzimmer" des Domes steht, braucht ein geübtes Auge, um überhaupt zu erkennen, dass die 30 mal 30 Zentimeter großen Majolika-Platten in unglaublicher Puzzlearbeit zusammengesetzt wurden. Eine münsterische Bildhauerwerkstatt füllte bestehende Löcher im Bildprogramm mit Spachtelmasse und Füllstoff aus, festigte brüchige Stücke mit Harz, restaurierte durch Hitzeeinwirkung abgesplitterte Glasur, klebte Risse und reinigte verschmutzte Teile. Der aus Cremona stammende Maler Gianamleto Feraboli schaffte es, die Bildmotive mit kobaltblauen Acrylfarben verschiedener Intensität an den Fehlstellen zu vervollständigen. Der damalige Kustos der Domkammer, Géza Jászai, zeigte sich begeistert: "Nach 40jährigem bewunderungswürdigem Ringen mit der denkmalpflegerischen Aufgabe, den ehemaligen Gartensaal des Bischöflichen Hofes wiederherzustellen, besitzen wir heute in Münster wieder einen Festsaal von historischer Bedeutung aus der Zeit des europäischen Rokoko." Das allegorische Bildprogramm der Fliesenvertäfelung konnte tadellos restauriert werden: die Darstellungen der Vier Jahreszeiten an der Hauptwand; an der gegenüberliegenden Fensterseite die Vier Elemente; und an den Nischenwänden die Darstellungen des "Schiffes der Kirche" und des antiken Götterboten Hermes, der in der Apostelgeschichte mit dem "Völkerapostel" Paulus als Künder des Wortes verglichen wird. Sogar die Rokoko-Stuckdecke mit Kristallluster sieht wieder exakt so aus wie vor 1943.

Heute finden im restaurierten "Kachelzimmer" des Domes Empfänge, gelegentlich auch Pressekonferenzen statt; die Weihbischöfe sprechen hier mit den Firmgruppen. Und der vom Bildhauer Wilhelm Achtermann 1839 aus Mamor geschlagene Münsteraner Johann Heinrich Schmedding blickt von seinem erhöhten Postament mit Wohlgefallen auf die heutigen Gäste.


Text: Bischöfliche Pressestelle
Foto: Michael Bönte, Kirche+Leben