Zum Dreikönigsfest werden die kniende Maria und das Kind in der Krippe ausgetauscht durch eine sitzende Maria mit dem auf ihrem Knie stehenden Jesuskind, das mit einladender Geste die Könige und auch die Besucher der Krippe begrüßt. Der älteste König kniet vor dem Kind und hat ihm als Zeichen der Huldigung seine Krone zu Füßen gelegt. Der zweite König ist durch eine asketische Gestalt und einen visionären Blick charakterisiert, während das Gesicht des afrikanisch anmutenden Königs Freude widerspiegelt.
Die hellen Lindenholzfiguren mit der leicht strukturierten Oberfläche sind gewachst, nur die Iris der Augen ist dunkler getönt, um die Gesichter zu beleben. So einheitlich das Erscheinungsbild der Krippe ist, so unterschiedlich sind die Figuren, von denen jede einzelne den Betrachter zum Meditieren einlädt. Maria und Josef sind in sich und in den Anblick des Kindes versunken. Die Hirten verkörpern mit ausdrucksstarker Gestik Grundhaltungen des Menschen angesichts des Weihnachtswunders. Die Drei Könige sind durch ihre Kronen, durch kunstvolle Gefäße und Schmuck gekennzeichnet. Diese Gegenstände sind ebenso wie die Köpfe und Hände detailliert ausgearbeitet. Die meist bodenlangen Gewänder sind eher schlicht gehalten und durch eine bewegtere Linienführung besonders bei den beiden jüngeren Königen aufgelockert; einzelne Gliedmaßen wie Arme und Beine zeichnen sich darunter andeutungsweise ab. Die Formgebung der sinnbildlich zu deutenden Figuren, ihre ausdrucksbetonten Gesichter und Gesten sowie die von den Gewändern verhüllten Körper erinnern an Skulpturen von Ernst Barlach.
Schwester Eberhardis Kohlstedt (1901-1992) von der Ordensgemeinschaft der Franziskanerinnen von der Buße und der christlichen Liebe in Nonnenwerth hat die Krippenfiguren im Alter von 70 Jahren geschaffen. Die aus dem Oldenburger Münsterland gebürtige Künstlerin hatte zunächst in Berlin eine Ausbildung als Kunsterzieherin erhalten. 1927 war sie in den Orden der Franziskanerinnen eingetreten und hat von 1928 bis 1945 im Kloster St. Elisabet in Trier Entwürfe für die Paramentenstickerei geschaffen. Nach einem weiteren Studium an den Kölner Werkschulen hat sie sich dann von 1958 bis 1987 in der Werkstatt für Kirchenkunst der Franziskanerinnen in Bad Honnef der Bildhauerei gewidmet. Hier sah der damalige Domsakristan Bruder Florian Hinsken während des Urlaubs die Krippe von Schwester Eberhardis, und auf seine Vermittlung wurden die Figuren zu Weihnachten 1973 erstmals im Dom zu Münster aufgestellt.
Bischof Heinrich Tenhumberg und das Domkapitel befürworteten den Ankauf der Krippe, und im Februar 1974 wurde der Künstlerin im Rahmen der jährlichen Krippenausstellung im Heimathaus Münsterland (Telgte) der „Ehrenpreis des Bischofs für vorbildliches Krippenschaffen“ verliehen. Dieser Preis, 1969 von Bischof Heinrich Tenhumberg begründet, wurde 1985 von Bischof Dr. Reinhard Lettmann in Anerkennung der Verdienste seines Vorgängers um die Belebung der Weihnachtskrippe in „Bischof-Heinrich-Tenhumberg-Preis“ umbenannt.
Schwester Eberhardis hatte 1973 die südliche Turmkapelle als Aufstellungsort für ihre Krippe bestimmt, und zwar unter dem damals dort hängenden Lettnerkreuz von Johann Brabender. Sie hat sich ausdrücklich für eine schlichte Landschaft ausgesprochen und ist späteren Bitten nach einer Lieferung von Ochs und Esel und weiteren Schafen nicht nachgekommen. Sie wollte den Blick des Betrachters auf das Wesentliche des Weihnachtsgeschehens lenken und empfand weitere Ergänzungen offensichtlich als überflüssig oder sogar störend. Einen Eingriff in die Konzeption der Künstlerin bedeutet der neue Stall, der für die Aufstellung der Krippe im Chor 2003 vom Hausmeister des Doms aus alten Transportkisten geschreinert worden ist. Zusammen mit den Fichten schließt er jedoch die Krippenlandschaft nach hinten ab und vermittelt auch ein Gefühl der Geborgenheit, das am früheren Standort durch die Architektur der Turmkapelle gegeben war.