St.-Paulus-Dom wird für gehörlose Besucher erlebbar

Annegret und Rudolf Tumbrink aus Münster sind gehörlos. Ab sofort wollen sie anderen Gehörlosen und hörgeschädigten Menschen auch den St.-Paulus-Dom näher bringen.

Annegret und Rudolf Tumbrink aus Münster sind gehörlos. Ab sofort wollen sie anderen Gehörlosen und hörgeschädigten Menschen auch den St.-Paulus-Dom näher bringen.

Mit der flachen, ausgestreckten Hand fährt Rudolf Tumbrink durch die Luft, als würde er über eine imaginäre Oberfläche streichen. Sein ehrfürchtiger Gesichtsausdruck, die großen, offenen Augen unterstreichen seine Gestik. Es ist die Gebärde für das Paradies, wie das Hauptportal des St.-Paulus-Doms in Münster auch genannt wird. „Aber die Handbewegung muss langsam gemacht werden, damit deutlich wird, dass es sich um einen besonderen, einen heiligen Ort handelt“, erläutert Annegret Tumbrink die Gebärde ihres Mannes.

Das Ehepaar versteht sich ohne gesprochene Worte. Beide sind gehörlos – Rudolf Tumbrink von Geburt an, seine Frau ertaubte nach einer Maserninfektion im Alter von sieben Jahren. Sie kann sich deshalb, zusätzlich zur Deutschen Gebärdensprache (DGS), auch mit Lautsprache verständigen. Der Dom, das Wahrzeichen von Münster, hat es den beiden Geschichtsinteressierten angetan. Im Auftrag der Dompädagogik des Bistums Münster wollen sie künftig gehörlose und hörgeschädigte Menschen durch die Kathedrale führen.

Erfahrungen in Sachen Führungen bringt das Ehepaar mit: Seit 1996 bieten die Tumbrinks, die beide als technische Zeichnerin und Zeichner beim LWL-Bau- und Liegenschaftsbetrieb arbeiten und kurz vor dem Ruhestand stehen, Stadtführungen für Gehörlose an. „Wir sind in Münster aufgewachsen und kennen die Stadt mit ihrer Geschichte und den politischen Entwicklungen sehr gut“, übersetzt eine Gebärdendolmetscherin Rudolf Tumbrinks Gebärden. Sein Interesse für Geschichte hat sich längst auf den Dom ausgeweitet. Auch bei Annegret Tumbrink werden Erinnerungen wach, wenn sie die Bischofskirche betritt. „Mein Vater hat als Junge im Domchor gesungen. Als ich ein kleines Mädchen war und noch hören konnte, sind wir zusammen zu einem Konzert des Domchores gegangen. Die Musik war wunderbar“, schwärmt sie. Heute kann sie den Gesang zwar nicht mehr hören, „aber die Erinnerungen daran bleiben bestehen“.

Ohne die Corona-Pandemie – die Tumbrinks hätten schon längst mit den Domführungen begonnen. „Aber wir lesen von den Lippen ab, wir brauchen die Mimik und Gestik. Wenn der Mund von einer Maske verdeckt wird, ist es uns nicht möglich, zu kommunizieren“, verdeutlicht Annegret Tumbrink. Und die Sicherheit stehe eben an erster Stelle. Deshalb haben sie und ihr Mann die Zeit genutzt, um sich das Wissen über die Besonderheiten des Doms anzueignen und die Führungen vorzubereiten. Eine Herausforderung: „Wir können nicht so einfach von hörenden Domführern lernen, denn für Hörende werden oft lange und komplexe Sätze gesprochen“, gebärdet Rudolf Tumbrink. Unterstützung bekamen sie von Martin Heuser, der bis 2019 bereits Domführungen in Gebärdensprache angeboten hatte.

Die DGS folge anderen Regeln: „Kurze Sätze, nicht zu viele Jahreszahlen, nur die wichtigsten Namen. Wir möchten Geschichten erzählen“, erklärt Annegret Tumbrink, die dem Objekt, das sie und ihr Mann der Gruppe beschreiben, den Rücken zukehren wird, um den für Gehörlose so wichtigen Blickkontakt zu den einzelnen Personen halten zu können. Einen dicken Ordner haben sie inzwischen zusammengestellt, ganz oben das Symbol der Deutschen Gebärdensprache, zwei gebärdende Hände. „Damit machen wir auf uns aufmerksam, denn die Leute können uns ja nicht ansehen, dass wir die Domführer sind“, erklärt Rudolf Tumbrink.

Im Paradies werden sie künftig den Rundgang starten, dort einen Einblick in die Baugeschichte inklusive der beiden Vorgängerbauten des Paulusdoms geben und sich anschließend auf den Weg durch das Kirchengebäude machen. Während Elemente wie die Orgel oder die Glocken weniger reizvoll für gehörlose Menschen sind, wecken Besonderheiten wie die Astronomische Uhr, das Triumph-Kreuz oder der Kreuzgang bei Hörenden und Gehörlosen gleiches Interesse. In letzterem besucht Annegret Tumbrink besonders gerne die Reihe der fünf klugen und fünf törichten Jungfrauen. „Ich finde es beeindruckend, was die Künstler und Steinmetze geschaffen haben, wie filigran sie schon damals gearbeitet haben“, sagt sie.

Ihr Mann ist am Grab des früheren Bischofs von Münster, Clemens August Kardinal von Galen, in seinem Element. „Er war ein großer Mann, kämpferisch und gleichzeitig fromm“, beschreibt er das Wirken des Seligen, der in aller Öffentlichkeit von den Kanzeln der Kirchen das Unrecht der Nazis angeprangert hatte. Die Gebärde, die er für Kardinal von Galen gefunden hat: Rudolf Tumbrink hebt den rechten Arm hoch und zeichnet „einen großen Menschen“ mit den Händen in die Luft. Neben Fotos des Fürstbischofs hat er auch eine Zeichnung in seinem Ordner, die die Kanzel in der St.-Lamberti-Kirche zeigt, von der aus von Galen gepredigt hat,. „Wir Gehörlosen sind visuelle Menschen. Bilder helfen uns, uns bestimmte Situationen vorzustellen“, erklärt er.

Dass gehörlos nicht gleich gehörlos ist, wird an den Geschichten von Annegret und Rudolf Tumbrink deutlich. „Wir sind in unterschiedlichen Welten aufgewachsen“, sagt Rudolf Tumbrink und meint damit die hörende Welt, die seine Frau im Gegensatz zu ihm in den ersten Lebensjahren kennengelernt hat. „Uns sind verschiedene Dinge wichtig, wir ergänzen uns“, fügt seine Frau hinzu. Gute Voraussetzungen für die künftigen Domführungen für Gehörlose und hörgeschädigte Menschen, ist das Ehepaar überzeugt: „Wir freuen uns darauf, unsere Erfahrungen und unsere Wahrnehmungen mit Interessierten zu teilen.“

Die nächste Domführung für gehörlose und hörgeschädigte Menschen findet statt am Samstag, 26. November, von 13.30 bis 15 Uhr. Die Teilnahme kostet 3 Euro, bis 18 Jahre ist sie kostenlos. Treffpunkt ist das Paradiesportal (Haupteingang).

→ Weitere Informationen zu den barrierefreien Domführungen finden Sie hier.

Text/Foto: Bischöfliche Pressestelle
 

Öffnungszeiten

Der Dom ist werktags von 6.30 bis 19.00 Uhr und sonntags von 6.30 bis 19.30 Uhr geöffnet.

Beichtzeiten

Die aktuellen Beichtzeiten finden Sie jeweils in der wöchentlichen Gottesdienstordnung.

Online-Spende

Wir verweisen auf das Online-Portal, welches das Bistum Münster seit 2017 nutzt. Dort finden Sie auch Informationen zu den verschiedenen Projekten und wohin die Gelder weitergeleitet werden.

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