„Gemeinsam sind wir stärker als die Summe der Einzelteile“
Münster (pbm/lb). „Manchmal habe ich den Eindruck, dass sich Europa kleiner und schwächer macht, als es eigentlich ist. Gemeinsam sind wir viel stärker als die Summer der Einzelteile“, erklärte Prof. Dr. Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, am 11. September in seinem Vortrag bei den „DomGedanken“. Felbermayr sprach im münsterischen St.-Paulus-Dom über vier Themenfelder: Er untersuchte, wo Europa wirtschaftlich steht, was Europa macht und was es machen sollte sowie welchen ökonomischen Nutzen die EU für die Menschen hat und welches die dringendsten Reformen sind, die angegangen werden sollten.
Der Vortrag des Ökonomen war überschrieben mit dem Titel „Die neue Geopolitik: Europa zukunftsfähig machen“. Inhaltich lehnte Felbermayr sich an sein Buch „Europa muss sich rechnen“ an. Ohne ein Europa das ökonomisch funktioniere, könne man nicht einlösen, was die Menschen sich von Europa versprechen: Frieden, Sicherheit und Stabilität, sagte der Wissenschaftler, der als Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien lehrt.
Europa sei ein Kontinent, der seinen Zenit überschritten habe, der an wirtschaftlicher Bedeutung einbüße. „Wir haben die Pole-Position, die wir in den 1990er Jahren noch hatten, verloren“, stellte Felbermayr fest. Allerdings seien die europäischen Volkswirtschaften gemeinsam immer noch auf Augenhöhe mit den großen Volkswirtschaften Chinas und der USA. Daher sei ein gemeinsames Auftreten eine zentrale Voraussetzung, wenn die Staaten der EU in einer sich verändernden Welt gemeinsam bestehen wollten. Doch welche Themen sollte man europäisch ausfüllen? Felbermayr plädierte dafür, dass europäische Gemeinschaftsgüter im Vordergrund stünden: „Das sind Güter mit klarer unionsweiter Nützlichkeit“. Ein Beispiel: das Schienennetz. Die Distanz zwischen Peking und Shanghai sei größer als die zwischen Wien und Münster, lasse sich aber mit dem Zug in einem Viertel der Zeit zurücklegen. So ein Projekt sei zu groß, um von einem Einzelstaat in den Blick genommen zu werden.
„Wenn die Infrastruktur gemeinschaftlich geplant wird, beispielsweise die Strominfrastruktur, dann kann man mit denselben eingesetzten Mitteln einen höheren ökonomischen Nutzen erzielen“, sagte er. Das setze allerding auch ein höheres Budget auf europäischer Ebene voraus. Die Bruttovorteile der EU, beispielsweise Zugang zum europäischen Binnenmarkt, seien für die Menschen in der EU kaum greifbar, argumentierte Felbermayr. Das wäre anders, wenn es europäische Gemeinschaftsgüter gebe, beispielsweise ein europäischer Zug.
„Neben dem Binnenmarkt haben wir noch eine ganz Reihe von anderen unvollendeten Geschichten in der europäischen Union, die wir wagen müssen“, sagte Felbermayer. Man müsse mehr Europa zulassen und neben der Währungsunion auch eine Fiskalunion haben, mit einem größeren europäischen Budget, einem europäischen Finanzminister und einem Budgetrecht für das europäische Parlament. „Wenn das europäische Parlament über Dinge entscheiden dürfte, wo es ums Geld geht, dann hätten wir im Handumdrehen eine europäische Debatte um diese Themen“, sagte der Wissenschaftler. Und diese Debatte haben wir derzeit in Europa nicht. „Es ist wichtig Europa aufzuladen mit Themen, die für die Bürger wichtig sind“, betonte er. Das sei verbunden mit finanziellen Dingen.
Musikalisch wurde der Abend von dem Mädchenchor am Dom unter der Leitung von Verena Schürmann und Domorganist Thomas Schmitz an der Orgel gestaltet.
Die „DomGedanken“ 2024 standen unter dem Obertitel „Zeitenwende – Wie damit umgehen“. Fünf Wochen lang waren Vorträge mit verschiedenen Positionen aus wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Perspektive zu hören. Ermöglicht wurden die Vorträge von Evonik Industries. Am Ende jeder Veranstaltung wurde um eine Spende für die „Bischof-Hermann-Stiftung“ in Münster gebeten.
Bildunterschrift: Prof. Dr. Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, sprach bei den „DomGedanken“ über Europa.